Donnerstag, 28. Februar 2008

Was ist... der "Magic Circle"?

Als Magic Circle bezeichnet man das Phänomen, dass Bereiche einer Virtuellen Welt gleichsam der Realität entzogen, "nur ein Spiel" sind. Dies wird zum Einen durch das Gepräge der virtuellen Welt bewerkstelligt, zum Anderen durch strikte AGB (z.B. Verbot von realen Namen und Real-Money-Trade).
Die Einordnung einer virtuellen Welt als "Spiel" hat unterschiedliche rechtliche Konsequenzen, auf die in Zukunft noch zurückzukommen sein wird.

Eine breite Diskussion des Begriffs und einen Link zur Ausarbeitung von Joshua Fairfield (Indiana University) bietet Terranova.

EU: Safer Internet for Children - zweite Runde

Die EU-Kommission kündigte gestern die Neuauflage des Programms "Safer Internet for Children" an. 55 Mio. Euro werden investiert, um auf das Web2.0 und daraus erwachsende Gefahren für Kinder zu reagieren. Im Zeitraum von 2009 bis 2013 soll das Projekt

  • über nationale Kontaktpunkte Berichte von rechtswidrigen Inhalte sammeln
  • Intitiativen für eine kindgerechte Online-Umgebung fördern
  • die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema lenken
  • und ein Wissensnetzwerk etablieren.
Grundlage bildet eine Untersuchung aus dem Frühjahr 2007 (PDF). Seltsamerweise lässt der Bericht (und mithin wohl das Projekt) Virtuelle Welten vollkommen außer Acht, obwohl gerade im Frühjahr '07 Second Life weltweit wegen des sogenannten "Age Play" Aufmerksamkeit auf sich zog. Zudem gibt es zahlreiche virtuelle Welten, die sich unmittelbar an Kinder wenden (z.B. Habbo).

"Age Play" (RR)

Web2.0 (RR)

Mittwoch, 27. Februar 2008

Erste e-Sport-Entscheidung in Deutschland: Verfügungsantrag abgewiesen

Das AG-Köln hat einen Verfügungsantrag abgewiesen, mit dem der "Coldgame-Clan" einen seiner Spieler zurück in die europäische E-Sport-Liga bringen wollte. (Der Westen)

E-Sport ist im Grunde wie ganz normaler Sport - es gibt Spieler, Teams ("Clans"), Ligen und enorme Preisgelder. Der eigentliche Wettbewerb wird jedoch in einer eher bewegungsarmen Disziplin ausgetragen: Dem Zocken. Manche Teilnehmer benutzen dabei unerlaubte Hilfsprogramme ("Bots"). Der fragliche Spieler soll eine Zielhilfe beim Counterstrike-Spielen verwendet haben. Dergleichen soll auf diesem Video zu sehen sein:

Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Angeblich haben sich die Parteien mit jeweils zwei- bis dreihundertseitigen Anträgen beworfen.

Der erste deutsche virtuelle-Welten-Fall ist dies nicht: Bereits im Jahr 2006 hatte wurde im Gerichtsbezirk Regensburg wurde gegen den Ausschluss eines MMORPG-Spielers bis in die Berufung geklagt.

Dienstag, 26. Februar 2008

Die Schlapphüte kommen: Geheimdienste in Second Life

Mit dem Programm Reynard untersuchen amerikanische Geheimdienste den virtuellen Raum. Dies geht aus einem teilveröffentlichten Bericht (PDF) des DNI hervor, der Koordinierungsstelle für die amerikanischen Geheimdienste (Wikipedia). Man möchte insbesondere wissen, ob sich verdächtiges Verhalten automatisch erkennen lässt - sozusagen ein 3D-Terroristenfilter für virtuelle Welten.

"The project would then apply the lessons learned to determine the feasibility of automatically detecting suspidious behavior and actions in the virtual world."


(via Metasecurity)

Die Prüfung von Inhalten gestaltet sich in virtuellen Welten besonders schwierig. Nonverbale Inhalte lassen sich derzeit überwiegend nur durch Tags identifizieren, was sich besonders auf die Haftung der Betreiberunternehmen auswirkt.

Kürzlich hatte die Washington Post über Terrorismus und Second Life-Aktivitäten des CIA berichtet.

Ausgewertet: Farnez Alemi - An Avatar's Day in Court

Farnaz Alemi (Latham & Watkins) schlägt im UCLA Journal of Law & Technology ein dichotomes Verfahren zur Streitbeilegung in virtuellen Welten vor: Teils "in-world", teils, in besonderen Fällen, vor realen Gerichten.

Alemi, Farnaz:
An Avatar's Day in Court: A Proposal for Obtaining Relief an Resolving Disputes in Virtual World Games, UCLA Journal of Law & Technology 2007, 1-54. (PDF)


Das alte Lied: Wie real ist das Spiel?

Zunächst beschreibt Alemi den Grundkonflikt des Virtual Law: Einerseits ist "alles nur ein Spiel". Wer den virtuellen Raum betritt, nimmt dabei die Regeln des Spiels auch jenseits der ausdrücklichen AGB in Kauf und soll sich nicht beklagen. Vertreter der "Law and Border"-These beziehen sich dabei auch auf die territoriale Anbindung des Staatsrechts. Andererseits führt das Spiel zu schwerwiegenden Konflikten, die bisweilen nicht nur echtes Geld kosten, sondern auch andere Güter betreffen - im Extremfall auch das wirkliche Leben. Alemi bemüht den sehr plastischen Vergleich mit einem Casino-Spiel: Wer dort Jetons stiehlt, bevor sie in Bargeld umgetauscht werden konnten, wird unzweifelhaft als in seinen Rechten verletzt angesehen. Warum sollte das bei virtuellen Spielen anders sein?

Passt nicht: Reales Recht

Das reale Recht und Virtuelle Welten haben jedoch Kompatibilitätsschwierigkeiten. Diese gehen über populäre Subsumtionsprobleme (ist ein virtueller Gegenstand eine "Sache"?) hinaus:
  1. "Es ist alles nur ein Spiel" - diese Argumentation wurde im Fall Eros ./. Simon vorgebracht. Das Gefühl des Verletztseins sei gekünstelt und sollte nicht mit einer Bestrafung des Täters geadelt werden ("artificial", "should not be quelled with a seething punishment")
  2. Virtuelle Welten sind strukturell global. Probleme des internationalen Privatrechts dominieren hier. Doch neben Zuständigkeiten kollidieren in virtuellen Welten verstärkt Rechtskulturen selbst miteinander, wie zuletzt im prominenten Beispiel der virtuellen Kinderpornografie. Der fragmentarische Charakter des globalen Rechts stellt die Betreiber vor die Frage, ob sie die jeweiligen Rechtsräume nun ständig beobachten müssen.
  3. Juristen und mithin Richter sind noch recht unvertraut mit der Technik und der Funktionsweise virtueller Welten.
  4. Die Streitwerte in virtuellen Konflikten liegen weit unter den Kosten für ein Gerichtsverfahren.
Anmerkung: Viele dieser Gründe ähneln freilich jenen aus den Anfängen des Internetzeitalters und werden sich möglicherweise wie dort verflüchtigen, je intensiver virtuelle Welten genutzt werden.

Reicht nicht: AGB

Alemi zufolge schreiben die AGB zwar in der Regel ein bestimmtes Verhalten vor. Grundsätzlich fehlt jedoch die Möglichkeit eines Nutzers, vom Schädiger den Verlust ersetzt zu verlangen. Interventionen seitens des Betreibers stehen in dessen freiem Ermessen. Auf diesem Dilemma - Inkompatibilität des realen Rechts und unzureichender Rechtsschutz durch AGB - fußt Alemis Idee des zweigliedrigen Streitschlichtungssystems.

Alemis Vorschlag:

Der "in-world"-Zweig ermöglicht dem Nutzer, ein quasi-reales Verfahren in den Grenzen der virtuellen Welt anzustrengen. Der Richter wird entweder durch die Nutzergemeinde gewählt oder aus den Reihen Linden-Rechtsanwälte gestellt. Das Verfahren ist öffentlich, auch um das Prinzip des "shaming" einzubinden. Stattdessen kann aber auch ein geheimes Mediations- oder Schiedsgerichtsverfahren angestrengt werden. Der Nutzer, respektive der Avatar, bekommt das Gefühl, mit seinem Anliegen gehört worden zu sein, er erlebt seinen "Day in Court".
Finanziert wird der Verfahrenszweig durch "Prozesskosten", die vom Verlierer beigebracht werden - wie in Wirklichkeit.

Der "real world"-Zweig orientiert sich an der "piercing the corporate veil"-Doktrin im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht (vgl. Durchgriffshaftung). Danach kann ein Gesellschafter erst dann haftbar gemacht werden, wenn sein Verhalten die Hülle der Gesellschaft gleichsam durchsticht. Ein "in-world"-Konflikt kann etwa dann vor ein reales Gericht gebracht werden, wenn der Kläger darlegt, dass der Verletzer den Schutz der "Spielsphäre" ("avatar shield") gezielt für seine Zwecke ausgenutzt hat. Die genauen Voraussetzungen werden jedoch variieren.

Kommentar:

Für virtuelle Welten ist die "good governance" ihres Reiches ein Wettbewerbsfaktor. Die Nutzer wünschen sich auch hier den gewohnten Rechtsschutz und werden entsprechend regulierte Welten bevorzugen. Alemi zeigt Betreiberunternehmen, wie sie den Rechtsschutz verbessern können, ohne eine reale Prozesswelle fürchten zu müssen: Innerhalb der Spielsphäre.
In diesem Sinne müssen die Betreiber ihre "Gerichte" eben in dieser spielbezogenen Weise ausgestalten. Nur so können sie verhindern, dass reale Spruchkörper zur Berufungsinstanz werden und Fehlurteile der "Richter" wiederum mit realen Zivilprozessen angegriffen werden.

Zum Teil ist die vorgeschlagene Dichotomie des Rechts in virtuellen Welten jedoch illusorisch: Der Verletzte wird in den meisten Fällen davon ausgehen, dass das ihm zugefügte Leid "real" ist und die Spielsphäre durchsticht - zumal dann, wenn die durchschnittlichen Investitionen an Zeit und Geld steigen. Dies trifft insbesondere auf Unternehmen zu. Gemeinwohlgüter wie der Jugendschutz bleiben nach wie vor ein Problem, das nicht durch kontradiktorische "in-world"-Verfahren allein gelöst werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist Alemis Lösung ein Übergang, der insbesondere für Rollenspiele wie World of Warcraft taugt. In sozial geprägten Welten wie Second Life mit starkem Wirklichkeitsbezug stehen schnell zweifellos reale Rechtsgüter zur Disposition. Sollten virtuelle Welten tatsächlich zum "Web 3D" avancieren, wird das reale Recht früher oder später übernehmen müssen.

(Der Artikel wird auch auf Terranova diskutiert.)

Sonntag, 24. Februar 2008

Löchrige Geldbörse durch Quicktime-Hypnose

Eine Sicherheitslücke im Quicktime-Plugin von Second Life ermöglicht offenbar den "Diebstahl" von Linden-Dollar (275 L$ = 1 US-$), berichtet TecChannel.de. Die Sicherheitsexperten Miller und Zovi von "Security Evaluators" hätten

"nun öffentlich gezeigt, dass ein Second-Life-Avatar nur nahe genug an die Box kommen muss, um Opfer des Linden-Dollar-Diebstahls zu werden."
Im Video sieht das dann so aus:



Über die Kommunikation zwischen eingebetteten Quicktime-Objekten in Second Life und den Avataren können diese offenbar ferngesteuert werden. Die Opfer übertragen in diesem Fall das Geld an einen anderen Avatar und rufen danach "I got hacked" (SecurityEvaluators).

Kommentar:

Der Fehler liegt offenbar bei Apple's Quicktime - dennoch könnte auch LindenLab verantwortlich sein. Der Betreiber einer Online-Welt entscheidet, welche Plugins zugelassen werden. Web2.0-Unternehmen unterbinden häufig die Einbettung riskanter Objekte - etwa Flashobjekte oder Java auf bestimmten Blogs. Sicherheitsbedenken dieser Art wiegen ungleich schwerer, wenn mit der Nutzung eines Dienstes "Geld", namentlich Lindendollar, derart eng verwoben ist wie bei Second Life. Lindendollar können durch echtes Geld erworben werden und geraten somit in den virtuellen Geldbeutel - der aber offenbar etwas löchrig ist.

Sofern das Sicherheitsproblem tatsächlich in der hier dargestellten Weise besteht, könnte Linden schon aufgrund des Schuldverhältnisses mit den Nutzern dazu verpflichtet sein, die Nutzung der Plugins zu unterbinden - soweit dies technisch umsetzbar ist und bis die Lücke bei Quicktime geschlossen wurde. Nutzer können Plugins wie Quicktime auf ihrem Client jedoch auch selbst abstellen.

Freitag, 8. Februar 2008

US-Behörden: Virtuelle Welten - sicherer Hafen für Terroristen?

Die Washington Post berichtet über Sicherheitsbedenken von US-Behörden im Hinblick auf virtuelle Welten. Zugleich wird angedeutet, dass auch Avatare ihre Spuren hinterließen.

Alles nichts - oder? Burkhard Schröders Ideen zu Second Life in der Netzeitung

In der Netzeitung schreibt Burkhard Schröder über virtuelle Bankencrashs und mitunter vieles, dem ich widerspreche.

Zunächst ist Schröder der Auffassung, der Lindendollar sei "trotz seines «Wechselkurses» keine Währung, sondern nur ein Micropayment-System". Darin sei er "vergleichbar mit Microsoft Points", mit denen man für den Zune Songs kaufen kann.

Der Vergleich hinkt: Denn mit dem Lindendollar kann ich nicht nur bei Second Life, sondern bei allen möglichen Unternehmen in Second Life einkaufen gehen. Mit den Microsoft Points kaufe ich, wer hätt's gedacht, bei Microsoft.
Selbst wenn sich Linden via AGB auf den Standpunkt stellt, man kaufe nur Dienstleistungen von Linden, so sieht die Realität doch anders aus. Die Abwicklung der Verträge machen Avatar und Unternehmen unter sich aus. M.E. sind Linden-Dollar E-Geld.

Weiter behauptet Schröder, Avatare "könnten keine Veträge miteinander abschließen, die einklagbar wäre, ohne den realen Menschen hinter der virtuellen Maske identifiziert" zu haben.


An der Kasse von Edeka werde ich nun seit gut zehn Jahren auch nicht mehr nach dem Ausweis gefragt und schließe trotzdem Verträge über Frikadellen und Klopapier - Bargeschäfte des täglichen Lebens können nämlich durchaus anonym geschlossen werden. D.h. solange klar ist, dass irgendwer die Avatare steuert, kommt auch ein Vertrag zustande.
Für die Durchsetzung der Rechte gibt es in den USA tatsächlich eine Möglichkeit, "gegen Unbekannt" zu klagen (Lawgical). In Deutschland benötigt man genuine Auskunftsansprüche.

Schröder kommt zu folgendem Schluß: Die Nutzer in Second Life dürfen fast alles tun, solange keine ernsthaften Beschwerden laut werden.

Das ist natürlich Mumpitz. Auch an einen Stuhl gefesselte Menschen dürfen nicht alles tun, solange keine ernsthafte Beschwerden laut werden - das Problem ist doch eher Folgendes: Sie können nicht alles tun, was rechtswidrig ist, z.B. ein Haus anzünden. Sehr wohl können Avatare allerdings Beleidigen, Verleumden, Betrügen, (echte) Kinder missbrauchen, gegen Jugendschutz und das Verbot von Kinderpornografie verstoßen, faschistische Symbole verwenden, Urheberrechte und Markenrechte verletzen (wird fortgesetzt).

Schröder meint weiterhin, "(n)iemand (könne) bei Streitfällen ein Gericht anrufen."

Das hat man auch vom Internet geglaubt. Siehe dazu diese Sammlung gerichtlicher Verfahren (Lawspot) wegen virtueller Tatbestände.

Am Unverständlichsten bleibt mir jedoch folgendes Argument Schröders, warum Second Life nicht real sei: "Es gibt keinen Krieg (...)" In diesem Punkt wird Second Life's "Realismus" dann wohl von World of Warcraft übertroffen.

Siehe dazu auch auf RR:

Zunehmend "Diebstähle" in Second Life - von Lynchjustiz und Hackerhelden

Reuters berichtet von "Diebstählen" in Second Life. Eigentlich kopiergeschützte Ware virtueller Verkäufer landet auf Schwarzmärkten. Nun bieten Hackerbanden den geplagten Händlern ihre Dienste an: Man könne Ländereien der Kopier-Piraten zum Absturz bringen. Klingt nach einem Angebot, das man nicht ablehnen kann.

Linden's laisser-faire kennt jedoch Grenzen: You shall not, befehlen die AGB,
(v) take any actions or upload, post, e-mail or otherwise transmit Content that contains any viruses, Trojan horses, worms, spyware, time bombs, cancelbots or other computer programming routines that are intended to damage, detrimentally interfere with, surreptitiously intercept or expropriate any system, data or personal information
In Second Life werden täglich 1.4 Millionen US-Dollar umgesetzt. Die Verfolgung illegaler Kopien gilt als schwierig.

Donnerstag, 7. Februar 2008

Anarchie abgesagt - P2P doch kein rechtsfreier Raum?

Kampf der Industrien: Der Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. bekakelt sich mit der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI). Letztere hatten ein Papier herausgegeben, demzufolge die netzseitige Kontrolle über P2P-Tauschbörsen ohne weiteres realisierbar sei - was die Internetwirtschaft natürlich für abwegig hält. Der Kulturausschuss des Europaparlaments hat nun einen Änderungsantrag eingebracht, der die Pflichten der Zugangs-Provider verschärfen soll. (weitere Informationen beim Beck-Blog).

Freie Bahn für den Staat?

Kürzlich hatte ich von Mayer-Schönbergers Hypothese berichtet: Staatliche Regulierung von virtuellen Welten habe mit Bedacht zu erfolgen, damit diese sich nicht in den schwer bis gar nicht kontrollierbaren Schwarm von P2P-Rechnern zurückziehen ("Napster's Second Life"). Wenn sich schon getauschte Musik über "Fingerprints" als urheberrechtlich geschützt identifizieren lässt, ist dies vielleicht auch mit einer auf P2P-Netzwerken basierenden virtuellen Welt möglich - reicht der lange Arm des Gesetzes tatsächlich soweit? Haben staatliche Regulierungsgelüste nun doch freie Bahn?

Lindens Dollars - doch ein Fall für die BaFin?

Ich bin kein Bankenrechtler. Dennoch lehnte ich mich vor kurzem mit einer ad-hoc-Subsumtion weit aus dem Fenster und behauptete, zumindest deutsche Wechselstubenbetreiber in Second Life bräuchten als E-Geld-Verwalter eigentlich eine KWG-Erlaubnis der BaFin.

Dominic Peachey ist Bankenrechtler - und Policy Adviser der FSA (financial services authority). Und auch ihm scheint so etwas zu schwanen, berichtete heise vor Kurzem. Zwar sei der Moment für Bankenaufsicht noch nicht gekommen, aber man sollte beginnen, über diese Dinge nachzudenken, denn:
Unter bestimmten Voraussetzungen könne es sich bei virtuellen Währungen um E-Geld-Geschäfte handeln, für die eine Bankgenehmigung erforderlich ist.
In einem Bericht des Tech Digest vom Virtual Worlds Forum Europe wird Peachey wie folgt wiedergegeben:
(T)he minute users bring in real money and convert it to the in-game currency, it becomes worthy of regulation.
Linden selbst sieht seine Währung wohl eher als eine Art Anwartschaftsrecht - was jedoch angesichts der virtuellen Kauf-"Realitäten" wohl Wunschdenken ist:

You acknowledge that the Service presently includes a component of in-world fictional currency ("Currency" or "Linden Dollars" or "L$"), which constitutes a limited license right to use a feature of our product when, as, and if allowed by Linden Lab.

(s. AGB)

...ein Passus, wie so viele und vieles in dieser Branche: Ziemlich virtuell.

Wechselstubenbetreiber müssen sich vor Augen halten, dass sich ihr virtuell scheinendes Business recht real auf Verbraucher auswirken kann und sie eine entsprechende Verantwortung tragen.

Mittwoch, 6. Februar 2008

Virtuelle Schwerter und der Erschöpfungsgrundsatz: Kann Blizzard das Traden verbieten?

Manche Götter virtueller Welten erlauben den Handel mit virtuellen Gegenständen, andere nicht - so auch Blizzard, der Betreiber von "World of Warcraft":

WoW-AGB:

3. C.: Sie stimmen zu, dass Sie unter keinen Umständen (...)
(v) Gold, Waffen, Rüstung oder andere virtuelle Gegenstände, die in World of Warcraft benutzt werden, außerhalb der World of Warcraft-Plattform für "echtes" Geld zu kaufen oder zu verkaufen oder zu tauschen;
Martin Boonk (Vrije Universiteit Amsterdam) und Arno R. Lodder (Centre for Electronic Dispute Resolution) haben dazu einen interessanten Gedanken aufgeworfen: Möglicherweise verbietet der Erschöpfungsgrundsatz (First Sale-Doctrine) den Betreibern, derlei Verbote aufzustellen (S. 8).
Dieser Grundsatz beschränkt das Verbreitungsrecht des Urhebers gem. § 17 UrhG. Der Urheber darf bestimmen, ob und wie sein Werk in den Verkehr gebracht wird. Ist der Gegenstand jedoch im Verkehr, ist dieses Recht "erschöpft". Grundgedanke der Erschöpfung ist die Sicherung der Verkehrsfähigkeit von Werkstücken.
Wenn der Ork O also vom WoW-Betreiber Blizzard ein Schwert bekommt, ist dieses Schwert im Verkehr und Blizzards rechtliche Kontrolle über seine Verbreitung endet (die Argumentation der Autoren verlief original anhand der EU-Richtlinie 2001/29/EG und wurde von mir in das deutsche UrhG übertragen).

Kommentar im Hinblick auf die deutsche Rechtslage:

1. Körperlichkeit des Schwertes

Der Erschöpfungsgrundsatz bezieht sich grundsätzlich nur auf körperliche Gegenstände. Dies wird insbesondere durch den neuen § 19a UrhG deutlich, der die "öffentliche Zugänglichmachung" von Werken im Internet umfasst und diese damit von der "Verbreitung" gem. § 17 UrhG abgrenzt. Damit könnte die Diskussion schon zu Ende sein - der Erschöpfungsgrundsatz umfasst das Schwert überhaupt nicht.

2. § 19a UrhG nicht anwendbar auf virtuelle Gegenstände?

Diese scharfe Abgrenzung des virtuellen Schwertes als Inhalt gem. § 19a UrhG von körperlichen Werken gem. § 17 UrhG ist eine Illusion. § 19a UrhG ist für den Fall des gefundenen/verkauften Schwertes wohl nicht anwendbar.
Ähnlich wie bei Push-Diensten kann der Nutzer (der Ork) das Schwert nicht zur "Zeit seiner Wahl" erhalten, sondern er findet es zu einem ihm meist unbekannten Zeitpunkt.
Zudem ist das Schwert nicht so flüchtig wie das über einen Onlinedienst gem. § 19a UrhG zugänglich gemachte Werk. Fringuelli, zit. nach Wandtke/Bullinger, § 19a, Rn. 12., schlägt die Unterscheidung zwischen asynchronem und synchronem Datenabruf vor: Asynchron sei ein Abruf, wenn die Daten beim Nutzer dergestalt perpetuiert werden, dass dieser sie immer wieder abrufen kann. Wenn ein Ork in WoW ein Schwert vom Betreiber Blizzard überlassen bekommt, besitzt er dieses Schwert, bis er es abgibt oder WoW verlässt. Damit ist eine gewisse Perpetuierung gegeben, die der Körperlichkeit eines Werkes im Sinne von § 17 UrhG möglicherweise näher kommt als den zugänglich gemachten Werken in § 19a UrhG.
Es muss allerdings zugestanden werden, dass die Daten selbst stets auf Servern des Betreibers liegen.
Unterstellt, §19a UrhG umfasst das Schwert mit der o.g. Argumentation nicht, so könnte eine Erschöpfung des Betreiberzugriffs gem. § 17 UrhG möglich bleiben.

3. Ist der Kauf eine Miete?

Der Erschöpfungsgrundsatz wirkt sich jedoch nicht auf eine Vermietung des "erschöpften" Gegenstandes aus. Ist der Verkauf eines Schwertes von Ork zu Ork einer "Vermietung" im Sinne § 17 III UrhG? Der Begriff ist hier deutlich enger als die Miete im BGB-Sinne:
Vermietung im Sinne der Vorschriften dieses Gesetzes ist die zeitlich begrenzte, unmittelbar oder mittelbar Erwerbszwecken dienende Gebrauchsüberlassung.
Das WoW-Schwert ist zeitlich begrenzt verfügbar, nämlich solange der Käufer einen Account bei WoW führt. Die Überlassung dient dem Erwerb, nämlich dem Gewinn des Verkäufers. Klingt einfach - selbst wenn also Erschöpfung eingetreten ist, darf das Schwert nicht weitergegeben werden.
Das einzig unbehagliche an dieser Sichtweise: Die zeitliche Begrenzung ergibt sich allein daraus, dass es WoW nicht ewig geben wird und nicht - wie im Normalfall - aus einer vertraglich vereinbarten Nutzungsdauer. Auch eine vermietete Videokassette hält nicht ewig - dennoch gilt § 17 III UrhG und der Urheber bestimmt auch nach dem "Verleih" über die Verbreitung.

Ein Einstieg in die Grundprinzipien des Erschöpfungsgrundsatzes ist geboten - und sprengt leider den Rahmen dieses Blogs.

Fazit:

...Fazit ist gelobhudelt: Ein endgültiges Ergebnis kann ich nicht vorweisen - es zeigt sich jedoch erneut, dass Virtuelle Welten das bestehende Recht vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Ich schließe mich im Übrigen Boonk/Lodder an: Zwischen den Regulierungen im Spiel und den Regulierungen des realen Lebens kommt es zunehmend zu Spannungen.

Zum Thema Regulierung von Virtuellen Welten siehe: Bericht zum Vortrag von Mayer-Schönberger.

Dienstag, 5. Februar 2008

Bericht zum Vortrag Mayer-Schönbergers (Chancen und Risiken Staatlicher Regulierung Virtueller Welten)

Unter dem Einfluss derart positiver und zudem noch recht frischer Eindrücke wird es nicht leicht sein, über den Vortrag von Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger (siehe Terminhinweis) mit der nötigen Objektivität zu berichten. Ein Versuch:

Thesen:
  • Regulierung innerhalb der virtuellen Welten betrifft die Frage, auf welche Weise Konflikte der Nutzer gelöst werden. Reguliert wird durch Code, durch Vertrag und durch Ausübung von Zwang (Sperrung des Accounts).
  • Zwischen den verschiedenen virtuellen Welten besteht ein Konkurrenzverhältnis, das auch den innerhalb dieser Welten ("in world") gezogenen Regulierungsrahmen zu einem Wettbewerbsfaktor werden lässt. Daher kann von einer Regulierungsdynamik zwischen den Metaversen gesprochen werden.
  • Ein "Race to the Bottom" (Wikipedia) könnte die Folge sein, d.h. im Wettstreit mit anderen virtuellen Welten werden regulative Einschnitte minimiert.
  • Staatliche Regulierungsversuche führen aufgrund des globalen Marktes zu einer Abwanderung virtueller Welten in liberalere Rechtssysteme (Regulierungsarbitrage).
  • Die Regulierungskoordination von virtuellen Welten - etwa auf internationaler Ebene - birgt die Gefahr einer Dezentralisierung, wie sie Peer-to-Peer-Strukturen schon jetzt ermöglichen. An die Stelle eines zentralen Providers treten dann alle teilnehmenden Rechner als Mosaiksteinchen eines Welten-Providers. Damit wären virtuelle Welten dem staatlichen Zugriff weitesgehend entzogen, ganz so wie heutige Musiktauschbörsen im Vergleich zum ehemals zentral angebotenen Napster.
  • Mayer-Schönberger spricht sich daher für eine begleitende nationalstaatliche Regulierung anstelle einer defensiven Strategie aus. Staaten müssen ihre Regulierungswünsche vor diesem Hintergrund überdenken.
Regulierung als Wettbewerbsfaktor?

Eine wichtige Grundannahme: Der Regulierungsrahmen einer virtuellen Welt ist neben dem dargebotenen Inhalt (Landschaften, Gebäude, Musik etc.) und dem Preis (Monatsgebühr oder versteckte Kosten) der wesentliche Wettbewerbsfaktor. Ist es "gut", wenn die Figuren fliegen dürfen (wie in Second Life - wo es dazu offenbar eine Art zivilgesellschaftlicher Diskussion gab)? Wie stark soll der Betreiber intervenieren, wenn es zu Konflikten kommt?

Permeabilität:

Voraussetzung für einen Wettbewerb ist die Permeabilität der Welten - die Möglichkeit, von einer Welt in eine andere überzuwechseln. Zumeist kann das in einer Welt Erreichte (Geld, Status, Gegenstände) jedoch nicht in eine andere übertragen werden. Dies kommt konventionellen Kundenbindungsstrategien entgegen. Manche Betreiber gehen dennoch dazu über, Permeabilität geradezu zu begünstigen, indem Standards und Exportfunktionen zur Verfügung gestellt werden.

Interessante Einzelheiten:
  • Virtuell und synthetisch - Begrifflich sind "virtuelle" von "synthetischen Welten" zu unterscheiden. Virtuell ist eine Welt, wenn die Umgebung überwiegend dynamisch durch die Nutzer generiert wird (z.B. Second Life). Synthetische Welten werden überwiegend durch den Betreiber gestaltet (World of Warcraft).
  • Lock in - bei virtuellen Welten stellt sich das Problem, dass das Urheberrecht an den erstellten Gegenständen den Nutzern zufällt. Dem Betreiber entgleitet damit ein Stück weit die Kontrolle über seine Welt. Er sieht sich möglicherweise sogar Zahlungsansprüchen ausgesetzt, wenn er den Verlust der Gegenstände verursacht. (Lock-in: Wikipedia)
  • Itembay - Nachdem Sony gegenüber ebay durchgesetzt hatte, dass virtuelle Gegenstände der "Everquest"-Reihe nicht mehr verkauft werden mögen, gründete man in Taiwan das Unternehmen Itembay - dessen Name Programm war.
  • Evakuierungstests - U.a. die USA testen Evakuierungsszenarien in virtuellen Städten.
  • Code - Für Second Life und die dortige Programmiersprache wurde bereits mehr Code als für Linux geschrieben.
[Mayer-Schönberger ist Associate Professor an der Harvard University - Kennedy School of Government. Diese Zusammenfassung entspricht meiner Erinnerung an den Vortrag vom 23.1. - und allenfalls zufällig den tatsächlichen Thesen oder Auffassungen des Dozenten.]

Offene Fragen:

Während der Diskussion stellte ein Teilnehmer die Frage, was bei einem "Abschalten" von Second Life geschähe. Blizzard trifft in seinen AGB dazu eine Regelung - obwohl bei World of Warcraft kaum Möglichkeiten bestehen dürften, urheberrechtlich geschützte Inhalte herzustellen und sich das "Lock in"-Problem in dieser Form gar nicht erst stellt.
Bei Linden ist an diversen Stellen der AGB zu lesen, dass das Löschen von Währung und die Beendigung der Leistung in das absolute Belieben des Betreibers gestellt sei. Richtig deutlich wird es am Ende (5.3) (Großbuchstaben im Original):

THESE DATA, AND ANY OTHER DATA, ACCOUNT HISTORY AND ACCOUNT NAMES RESIDING ON LINDEN LAB'S SERVERS, MAY BE DELETED (...) AT ANY TIME FOR ANY REASON IN LINDEN LAB'S SOLE DISCRETION.

Ob es sich hierbei um wirksam einbezogenen AGB handelt, wird in einem späteren Beitrag noch zu klären sein.

Link:

Das Thema wurde von Mayer-Schönberger (zusammen mit Crowley) in einem Aufsatz aufbereitet: Napster's Second Life?: The Regulatory Challenges of Virtual Worlds, Northwestern University Law Review 100, S. 1775 (PDF - s.a. Internetauftritt VMSweb.net)

Fazit:

Mein Projekt, die Haftung des Betreibers, erlangt durch die Annahme eines Regulierungswettbewerbs eine neue Bedeutungsebene: Der Wettlauf zur Welt ohne Regeln endet dort, wo die Deregulierung zu einem betriebswirtschaftlich unhaltbaren Haftungsrisiko wird.
Die Diskussion um virtuelle Welten hat das Potenzial zur Tiefe, jenseits der oft gestellten, aber schlichten Frage, ob das gegenwärtige Recht "denn auch in virtuellen Welten gilt". Angesichts des Peer-to-Peer-Szenarios, der möglichen Flucht in den rechtsfreien Schwarm von Einzelrechnern, muss diese Frage überdacht werden - und mit ihr traditionelle staatliche Regulierungsbedürfnisse. In Mayer-Schönbergers Worten: "No taboos!". Die neue, provokante Frage könnte lauten: Soll das Recht gelten?