Dienstag, 26. Februar 2008

Ausgewertet: Farnez Alemi - An Avatar's Day in Court

Farnaz Alemi (Latham & Watkins) schlägt im UCLA Journal of Law & Technology ein dichotomes Verfahren zur Streitbeilegung in virtuellen Welten vor: Teils "in-world", teils, in besonderen Fällen, vor realen Gerichten.

Alemi, Farnaz:
An Avatar's Day in Court: A Proposal for Obtaining Relief an Resolving Disputes in Virtual World Games, UCLA Journal of Law & Technology 2007, 1-54. (PDF)


Das alte Lied: Wie real ist das Spiel?

Zunächst beschreibt Alemi den Grundkonflikt des Virtual Law: Einerseits ist "alles nur ein Spiel". Wer den virtuellen Raum betritt, nimmt dabei die Regeln des Spiels auch jenseits der ausdrücklichen AGB in Kauf und soll sich nicht beklagen. Vertreter der "Law and Border"-These beziehen sich dabei auch auf die territoriale Anbindung des Staatsrechts. Andererseits führt das Spiel zu schwerwiegenden Konflikten, die bisweilen nicht nur echtes Geld kosten, sondern auch andere Güter betreffen - im Extremfall auch das wirkliche Leben. Alemi bemüht den sehr plastischen Vergleich mit einem Casino-Spiel: Wer dort Jetons stiehlt, bevor sie in Bargeld umgetauscht werden konnten, wird unzweifelhaft als in seinen Rechten verletzt angesehen. Warum sollte das bei virtuellen Spielen anders sein?

Passt nicht: Reales Recht

Das reale Recht und Virtuelle Welten haben jedoch Kompatibilitätsschwierigkeiten. Diese gehen über populäre Subsumtionsprobleme (ist ein virtueller Gegenstand eine "Sache"?) hinaus:
  1. "Es ist alles nur ein Spiel" - diese Argumentation wurde im Fall Eros ./. Simon vorgebracht. Das Gefühl des Verletztseins sei gekünstelt und sollte nicht mit einer Bestrafung des Täters geadelt werden ("artificial", "should not be quelled with a seething punishment")
  2. Virtuelle Welten sind strukturell global. Probleme des internationalen Privatrechts dominieren hier. Doch neben Zuständigkeiten kollidieren in virtuellen Welten verstärkt Rechtskulturen selbst miteinander, wie zuletzt im prominenten Beispiel der virtuellen Kinderpornografie. Der fragmentarische Charakter des globalen Rechts stellt die Betreiber vor die Frage, ob sie die jeweiligen Rechtsräume nun ständig beobachten müssen.
  3. Juristen und mithin Richter sind noch recht unvertraut mit der Technik und der Funktionsweise virtueller Welten.
  4. Die Streitwerte in virtuellen Konflikten liegen weit unter den Kosten für ein Gerichtsverfahren.
Anmerkung: Viele dieser Gründe ähneln freilich jenen aus den Anfängen des Internetzeitalters und werden sich möglicherweise wie dort verflüchtigen, je intensiver virtuelle Welten genutzt werden.

Reicht nicht: AGB

Alemi zufolge schreiben die AGB zwar in der Regel ein bestimmtes Verhalten vor. Grundsätzlich fehlt jedoch die Möglichkeit eines Nutzers, vom Schädiger den Verlust ersetzt zu verlangen. Interventionen seitens des Betreibers stehen in dessen freiem Ermessen. Auf diesem Dilemma - Inkompatibilität des realen Rechts und unzureichender Rechtsschutz durch AGB - fußt Alemis Idee des zweigliedrigen Streitschlichtungssystems.

Alemis Vorschlag:

Der "in-world"-Zweig ermöglicht dem Nutzer, ein quasi-reales Verfahren in den Grenzen der virtuellen Welt anzustrengen. Der Richter wird entweder durch die Nutzergemeinde gewählt oder aus den Reihen Linden-Rechtsanwälte gestellt. Das Verfahren ist öffentlich, auch um das Prinzip des "shaming" einzubinden. Stattdessen kann aber auch ein geheimes Mediations- oder Schiedsgerichtsverfahren angestrengt werden. Der Nutzer, respektive der Avatar, bekommt das Gefühl, mit seinem Anliegen gehört worden zu sein, er erlebt seinen "Day in Court".
Finanziert wird der Verfahrenszweig durch "Prozesskosten", die vom Verlierer beigebracht werden - wie in Wirklichkeit.

Der "real world"-Zweig orientiert sich an der "piercing the corporate veil"-Doktrin im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht (vgl. Durchgriffshaftung). Danach kann ein Gesellschafter erst dann haftbar gemacht werden, wenn sein Verhalten die Hülle der Gesellschaft gleichsam durchsticht. Ein "in-world"-Konflikt kann etwa dann vor ein reales Gericht gebracht werden, wenn der Kläger darlegt, dass der Verletzer den Schutz der "Spielsphäre" ("avatar shield") gezielt für seine Zwecke ausgenutzt hat. Die genauen Voraussetzungen werden jedoch variieren.

Kommentar:

Für virtuelle Welten ist die "good governance" ihres Reiches ein Wettbewerbsfaktor. Die Nutzer wünschen sich auch hier den gewohnten Rechtsschutz und werden entsprechend regulierte Welten bevorzugen. Alemi zeigt Betreiberunternehmen, wie sie den Rechtsschutz verbessern können, ohne eine reale Prozesswelle fürchten zu müssen: Innerhalb der Spielsphäre.
In diesem Sinne müssen die Betreiber ihre "Gerichte" eben in dieser spielbezogenen Weise ausgestalten. Nur so können sie verhindern, dass reale Spruchkörper zur Berufungsinstanz werden und Fehlurteile der "Richter" wiederum mit realen Zivilprozessen angegriffen werden.

Zum Teil ist die vorgeschlagene Dichotomie des Rechts in virtuellen Welten jedoch illusorisch: Der Verletzte wird in den meisten Fällen davon ausgehen, dass das ihm zugefügte Leid "real" ist und die Spielsphäre durchsticht - zumal dann, wenn die durchschnittlichen Investitionen an Zeit und Geld steigen. Dies trifft insbesondere auf Unternehmen zu. Gemeinwohlgüter wie der Jugendschutz bleiben nach wie vor ein Problem, das nicht durch kontradiktorische "in-world"-Verfahren allein gelöst werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist Alemis Lösung ein Übergang, der insbesondere für Rollenspiele wie World of Warcraft taugt. In sozial geprägten Welten wie Second Life mit starkem Wirklichkeitsbezug stehen schnell zweifellos reale Rechtsgüter zur Disposition. Sollten virtuelle Welten tatsächlich zum "Web 3D" avancieren, wird das reale Recht früher oder später übernehmen müssen.

(Der Artikel wird auch auf Terranova diskutiert.)

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