Dienstag, 5. Februar 2008

Bericht zum Vortrag Mayer-Schönbergers (Chancen und Risiken Staatlicher Regulierung Virtueller Welten)

Unter dem Einfluss derart positiver und zudem noch recht frischer Eindrücke wird es nicht leicht sein, über den Vortrag von Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger (siehe Terminhinweis) mit der nötigen Objektivität zu berichten. Ein Versuch:

Thesen:
  • Regulierung innerhalb der virtuellen Welten betrifft die Frage, auf welche Weise Konflikte der Nutzer gelöst werden. Reguliert wird durch Code, durch Vertrag und durch Ausübung von Zwang (Sperrung des Accounts).
  • Zwischen den verschiedenen virtuellen Welten besteht ein Konkurrenzverhältnis, das auch den innerhalb dieser Welten ("in world") gezogenen Regulierungsrahmen zu einem Wettbewerbsfaktor werden lässt. Daher kann von einer Regulierungsdynamik zwischen den Metaversen gesprochen werden.
  • Ein "Race to the Bottom" (Wikipedia) könnte die Folge sein, d.h. im Wettstreit mit anderen virtuellen Welten werden regulative Einschnitte minimiert.
  • Staatliche Regulierungsversuche führen aufgrund des globalen Marktes zu einer Abwanderung virtueller Welten in liberalere Rechtssysteme (Regulierungsarbitrage).
  • Die Regulierungskoordination von virtuellen Welten - etwa auf internationaler Ebene - birgt die Gefahr einer Dezentralisierung, wie sie Peer-to-Peer-Strukturen schon jetzt ermöglichen. An die Stelle eines zentralen Providers treten dann alle teilnehmenden Rechner als Mosaiksteinchen eines Welten-Providers. Damit wären virtuelle Welten dem staatlichen Zugriff weitesgehend entzogen, ganz so wie heutige Musiktauschbörsen im Vergleich zum ehemals zentral angebotenen Napster.
  • Mayer-Schönberger spricht sich daher für eine begleitende nationalstaatliche Regulierung anstelle einer defensiven Strategie aus. Staaten müssen ihre Regulierungswünsche vor diesem Hintergrund überdenken.
Regulierung als Wettbewerbsfaktor?

Eine wichtige Grundannahme: Der Regulierungsrahmen einer virtuellen Welt ist neben dem dargebotenen Inhalt (Landschaften, Gebäude, Musik etc.) und dem Preis (Monatsgebühr oder versteckte Kosten) der wesentliche Wettbewerbsfaktor. Ist es "gut", wenn die Figuren fliegen dürfen (wie in Second Life - wo es dazu offenbar eine Art zivilgesellschaftlicher Diskussion gab)? Wie stark soll der Betreiber intervenieren, wenn es zu Konflikten kommt?

Permeabilität:

Voraussetzung für einen Wettbewerb ist die Permeabilität der Welten - die Möglichkeit, von einer Welt in eine andere überzuwechseln. Zumeist kann das in einer Welt Erreichte (Geld, Status, Gegenstände) jedoch nicht in eine andere übertragen werden. Dies kommt konventionellen Kundenbindungsstrategien entgegen. Manche Betreiber gehen dennoch dazu über, Permeabilität geradezu zu begünstigen, indem Standards und Exportfunktionen zur Verfügung gestellt werden.

Interessante Einzelheiten:
  • Virtuell und synthetisch - Begrifflich sind "virtuelle" von "synthetischen Welten" zu unterscheiden. Virtuell ist eine Welt, wenn die Umgebung überwiegend dynamisch durch die Nutzer generiert wird (z.B. Second Life). Synthetische Welten werden überwiegend durch den Betreiber gestaltet (World of Warcraft).
  • Lock in - bei virtuellen Welten stellt sich das Problem, dass das Urheberrecht an den erstellten Gegenständen den Nutzern zufällt. Dem Betreiber entgleitet damit ein Stück weit die Kontrolle über seine Welt. Er sieht sich möglicherweise sogar Zahlungsansprüchen ausgesetzt, wenn er den Verlust der Gegenstände verursacht. (Lock-in: Wikipedia)
  • Itembay - Nachdem Sony gegenüber ebay durchgesetzt hatte, dass virtuelle Gegenstände der "Everquest"-Reihe nicht mehr verkauft werden mögen, gründete man in Taiwan das Unternehmen Itembay - dessen Name Programm war.
  • Evakuierungstests - U.a. die USA testen Evakuierungsszenarien in virtuellen Städten.
  • Code - Für Second Life und die dortige Programmiersprache wurde bereits mehr Code als für Linux geschrieben.
[Mayer-Schönberger ist Associate Professor an der Harvard University - Kennedy School of Government. Diese Zusammenfassung entspricht meiner Erinnerung an den Vortrag vom 23.1. - und allenfalls zufällig den tatsächlichen Thesen oder Auffassungen des Dozenten.]

Offene Fragen:

Während der Diskussion stellte ein Teilnehmer die Frage, was bei einem "Abschalten" von Second Life geschähe. Blizzard trifft in seinen AGB dazu eine Regelung - obwohl bei World of Warcraft kaum Möglichkeiten bestehen dürften, urheberrechtlich geschützte Inhalte herzustellen und sich das "Lock in"-Problem in dieser Form gar nicht erst stellt.
Bei Linden ist an diversen Stellen der AGB zu lesen, dass das Löschen von Währung und die Beendigung der Leistung in das absolute Belieben des Betreibers gestellt sei. Richtig deutlich wird es am Ende (5.3) (Großbuchstaben im Original):

THESE DATA, AND ANY OTHER DATA, ACCOUNT HISTORY AND ACCOUNT NAMES RESIDING ON LINDEN LAB'S SERVERS, MAY BE DELETED (...) AT ANY TIME FOR ANY REASON IN LINDEN LAB'S SOLE DISCRETION.

Ob es sich hierbei um wirksam einbezogenen AGB handelt, wird in einem späteren Beitrag noch zu klären sein.

Link:

Das Thema wurde von Mayer-Schönberger (zusammen mit Crowley) in einem Aufsatz aufbereitet: Napster's Second Life?: The Regulatory Challenges of Virtual Worlds, Northwestern University Law Review 100, S. 1775 (PDF - s.a. Internetauftritt VMSweb.net)

Fazit:

Mein Projekt, die Haftung des Betreibers, erlangt durch die Annahme eines Regulierungswettbewerbs eine neue Bedeutungsebene: Der Wettlauf zur Welt ohne Regeln endet dort, wo die Deregulierung zu einem betriebswirtschaftlich unhaltbaren Haftungsrisiko wird.
Die Diskussion um virtuelle Welten hat das Potenzial zur Tiefe, jenseits der oft gestellten, aber schlichten Frage, ob das gegenwärtige Recht "denn auch in virtuellen Welten gilt". Angesichts des Peer-to-Peer-Szenarios, der möglichen Flucht in den rechtsfreien Schwarm von Einzelrechnern, muss diese Frage überdacht werden - und mit ihr traditionelle staatliche Regulierungsbedürfnisse. In Mayer-Schönbergers Worten: "No taboos!". Die neue, provokante Frage könnte lauten: Soll das Recht gelten?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du hast gar nicht die leckeren Häppchen im Nachklapp erwähnt ;-).

Hendrik Wieduwilt hat gesagt…

Das hier ist ja auch nicht Marions Kochbuch... ;)

Aber es stimmt schon. Also, liebe Leserinnen und Leser: Das Hans-Bredow-Institut sorgte zum besagten Datum nicht nur für einen sehr leckeren Vortrag, sondern auch für einen hochinteressanten Imbiss (Rinderfiletspießchen). Bzw. umgekehrt. Der Verfasser erinnert sich, dass seine 3-4 Spieße in Begleitung eines wohlschmeckenden Weißweins daherkamen.