Mittwoch, 30. Januar 2008

Exkursionsbericht # 1: Auf Sand gebaut

Eine namhafte Runde hatte sich zum virtuellen Virtual Law-Event dieser Tage eingefunden: Neben Robin Harper, der Vizepräsidentin der LindenLabs (aka Robin Linden) und dem Präsidenten der McArthur-Stiftung Jonathan F. Fanton sollte auch Jack Balkin, Yale Professor für Verfassungsrecht zur Diskussion beitragen. Das Thema:

"Träumen Avatare von Bürgerrechten?"

Dafür hatte ich mich - bzw. meinen Avatar - extra schick gemacht. In einem Ballsaal war mir vor Kurzem ein Anzug angeboten worden und den trug ich nun nicht ohne Stolz. Für eine Rasur und ein Abpumpen jener Muskelberge, die ich mir beim ersten Trip ins Second Life etwas voreilig zugelegt hatte, blieb allerdings keine Zeit mehr: Während meiner Vorbereitungen streikte nämlich zunächst die Grafikkarte und dann der Internetzugang.

(Exkurs:) Wie bitte? "Den Avatar schick gemacht" für ein virtuelles Event? Eine Aussage mit rechtlicher Relevanz (leider die letzte ihrer Art in diesem Beitrag): Das Ansehen ist als Teil der persönlichen Ehre verfassungs- zivil- und strafrechtlich geschützt (allgemeines Persönlichkeitsrecht). In den USA gibt es bereits Arbeiten zum Thema der Avatar-Defamation, also der Beleidigung von Avataren. Doch erst in diesem Moment trat diese Gefahr auch in mein nichtakademisches Bewusstsein. Das Auftreten des Avatars ist - mit Einschränkungen - auch das Auftreten der ihn steuernden realen Person. Ich fühlte mich auf einmal sehr verwundbar, trotz aller Anonymität. Bei diesem Event wollte ich - wie auch in Realität - Verbindungen knüpfen. Und das erfordert Verbindlichkeit und ein wenig Ansehen auf den ersten Blick. Die "Fernbeleidigung" einer Person vor dem Bildschirm gibt es - bis jetzt jedoch nur als Stinkefinger, der in die Linsen von Überwachungskameras gehalten wird. (Exkursende)

Etwas zu spät ruckelte ich schließlich an der Rezeptionistin vorbei ins Zentrum einer futuristischen Salatschüssel, in der nach Art eines Amphitheaters Stühle für gut hundert Zuhörer eingebaut waren. Tatsächlich war es ziemlich voll. Außer Vogelgezwitscher und Tastaturgeklapper vernahm ich auch das gelegentliche Pupsen meiner Sitznachbarn. Keine Ahnung, wie man seinen Avatar zum Pupsen bringt. Doch ich hatte andere Probleme: Die Stimmen der der Redner (Voicechat!) hörte ich leider nicht. Ich nehme an, es lag an der Bandbreite. Eine Teilnehmerin aus Südafrika hatte ähnliche Probleme und stellte diese sogleich in einen globalisierungskritischen Zusammenhang - was leider die gehaltvollste Bemerkung blieb, die an diesem Abend zu mir vordrang. (Apropos Abend: Bei mir war es Abend, bei den Amerikanern jedoch mittag. Glücklicherweise ist in Second Life jeder Herr über den Sonnenstand, also habe ich später aus Solidarität auch "meine" Sonne an den Zenit geschickt.) Balkins Wortbeiträge bekam ich leider ebenfalls nicht mit.

Nach ein paar recht allgemeinen Erwägungen war plötzlich alles schon wieder vorbei. Man bedankte sich, chattete "Applause!" und flog auf die Terrasse zum informellen Austausch. Ich selbst fiel zunächst durch die Erde einen Abhang hinunter, flog in den Nachthimmel, verflog mich eine Weile und schlug erst nach einigen Anläufen etwas unvermittelt neben den anderen Teilnehmern in die Bepflanzung ein.
Nun machte sich Stehparty-Feeling breit - ich brauchte einen Gesprächspartner. Und da war er: Professor Balkin. Yale. YALE. Ich rannte los - und fand mich bis zum Haaransatz strampelnd im Beton des Bodens wieder. Klicken und "Fliegen" half nichts. Nicht nur ich wurde vom Boden verschluckt - auch andere Avatare versanken zeitweilig und chatteten um Hilfe. Treibsand ("Quicksand") beherrschte eine Weile die Gespräche. Wie kommt man raus? Rauszoomen, Kamera ausrichten und oben irgendwo "hinsetzen". Ach so. Balkin - war weg. Die Gelegenheit, mich in zwangloser Atmosphäre zwischen sprechenden Katzen und virtuellen Philanthropen dem Yale-Professor aufzudrängen - verpasst.

Sieht so also ein virtuelles Meeting aus? Frustration übermannte mich. Die Technik hatte sich zwischen mich und Yale gestellt. YALE! Was ist das für eine Welt, in der nicht einmal auf den Erdboden Verlass ist? Meine Freundin versuchte es mit Trost: Kannst du ihm nicht eine email schicken? Jaaa. Das geht natürlich auch.

Mir bescherte das Bodenlose dieses Abends dennoch einen erhabenen Moment: Durch den Untergrund im Auditorium gefallen, fand ich mich überraschend im verlassenen Warteraum der Redner wieder. Dort habe ich mich dann heimlich auf den Stuhl von "Robin Linden" gesetzt. Auf den Thron der Chefin. Ich dachte an Rache, für den misslungenen Abend. Aber ich wusste ja immernoch nicht, wie man pupst.

Donnerstag, 24. Januar 2008

Termin: Podiumsdiskussion

Erneut ein Termin des Hans-Bredow-Instituts: 29.1.2008 bildet eine Podiumsdiskussion den Abschluss der Ringvorlesung "Games Online".
(17-19 Uhr c.t. in Raum 40, Department Technik, Fakultät Design Medien Information, Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), Stiftstr. 69, Hamburg.)

Mitautoren gesucht!

Wenn Sie Lust haben, eigene Beiträge hier einzustellen, melden Sie sich bitte per mail oder Xing (s. Impressum). Voraussetzung ist keineswegs das Staatsexamen, wohl aber eine gewisse sprachliche und inhaltliche Sorgfalt und ein unmittelbarer Bezug des Themas zu Recht und Wirtschaft in virtuellen Welten.

Ist das nicht alles "total bescheuert"? Zerrbilder von Second Life

Zerstückelte Minderjährige, virtuelle Millionäre, Spielgeld das doch irgendwie Millionen wert ist - ist das nicht alles "total bescheuert"?

Zerrbilder

Manche Menschen gehören weder zu Computernerds noch zu Ewiggestrigen, haben aber schlicht keinen Schimmer, was "Second Life" und virtuelle Welten überhaupt sind. Die Presse bietet häufig nur ein Zerrbild zwischen Horror ("13jährige zerstückelt") und Hysterie ("bald fünf Milliarden User?") - auch RechtReal.

Virtuelle Welten als künstlerisches Medium

Folgende Zusammenstellung von Kunst in Second Life mag dieses Zerrbild ein wenig glätten und zeigen, was virtuelle Welten sein können - eine neue und unmittelbare Art künstlerisch-persönlicher Schöpfung:

Wie eine Welt gebaut wird - von Robert Dingo:


Lainy Voom:



Journalisten und Künstler über Second Life
:
Fazit:

Zwischen den click-erzeugenden Extremen entsteht etwas Neues, bisweilen auch Schönes - nicht nur für Nerds und Freaks. Das gilt für das ewige Beispiel Second Life pars pro toto.

(Vielen Dank an Stefan Weiß für diese Links.)

China schützt seine MMORPGs - und das Volk vor der Spielsucht

Berichten von Pacific Epoch und China Daily zufolge, wappnet sich China gegen internationale Konkurrenz beim Betrieb von MMPORGs. Nach einer neuen Vorschrift der GAPP (General Administration of Press and Publication - eine Zensurbehörde) soll die Untersuchung, Zulassung und Lizensierung ausländischer Game-Produkte aufgeschoben werden, wenn das Unternehmen durch einen chinesischen Wettbewerber verklagt wurde:
"Under the new regulation, the General Administration of Press and Publication will postpone the examination, approval and licensing of foreign company products if the companies are arbitrated or sued by Chinese online game companies."
Märkte nicht von dieser Welt

Der chinesische Markt für virtuelle Welten lockt allerdings: Laut China Daily sei die Online-Spielerschaft in China zwischen 2006 und 2007 um 23 % gewachsen. (Siehe auch den Kommentar von Kenan Farrel, Virtually Blind.)
Xinhua berichtet von Studien, denenzufolge der chinesische Onlinemarkt um 53 % zugelegt habe (China Daily nennt sogar 61 %). Damit liegt der Marktwert nun etwa bei fast anderthalb Milliarden US-Dollar.
Den Markt führt Spielbetreiber "Shanda-Interactive" an (it-times).

Online-Games -
Opium fürs Volk?

Virtuellen Welten wirken sich in China stark auf die Gesellschaft aus. Dies zeigen nicht zuletzt jüngere Maßnahmen der Regierung: Bestimmte Arten von Spielen werden staatlich bevorzugt, Spielpausen verordnet (Heise).

China ist gebranntes Kind - schon einmal wurde das Volk durch ein Suchtmittel subtil unterjocht. Kou Xiaowei selbst, der Vize-Chef der Internetabteilung in der staatlichen Presseverwaltung (GAPP), benennt diese Zusammenhänge gegenüber China Daily:
"Although China's online gaming industry has been hot in recent years, online games are regarded by many as a sort of spiritual opium"

Mittwoch, 23. Januar 2008

"Inhalte, die belästigen, belästigen, oder anstößige Inhalte beinhalten"

...so deutscht man in den AGB von "World of Warcraft". Zu unerwünschten Inhalten gehören nämlich nach 4.B.1.:

Inhalte, die belästigen, schädigen oder drohen, beleidigen, belästigen, verleumden, diffamieren, herabsetzen, oder die vulgäre, obszöne, Angst einflößende, sexuell anstößige, rassistische, ethnisch oder auf andere Art anstößige Inhalte oder Sprachäußerungen beinhalten

Ähnlich schön sprachäußert sich Blizzard ganz am Ende:

Ich bestätige hiermit, einverstanden zu sein, dass die Benutzung von World of Warcraft durch mich eine Bestätigung meines Einverständnisses darstellt, ...

10.000.000 Warcraft Spieler

...gibt es inzwischen laut Blizzard-Pressemitteilung.

Was ist... Powerlevelling

Powerlevelling bedeutet, Dritte - Könner - für sich spielen zu lassen, damit der eigene Avatar bzw. Spielecharakter ein höheres Niveau erreicht. Aus den AGB von World of Warcraft:

C.Sie stimmen zu, dass Sie unter keinen Umständen
(...)
(vi) Dritte (ausgenommen ein (1) Minderjähriger, für den Sie den Account eröffnet haben) auf Ihrem Account spielen lassen, insbesondere zum Zweck der Inanspruchnahme sog. power levelling services", d.h. der Bezahlung von Dritten, die für Ihren Account spielen;

Dienstag, 22. Januar 2008

Präzise Klauseln

"Sie dürfen im Zusammenhang mit Ihrer Nutzung von World of Warcraft oder dem Service weder absichtlich noch unabsichtlich gegen das jeweils anwendbare Recht verstoßen."
Ach.

(aus Bizarrs Blizzards AGB für "World of Warcraft", D. - insgesamt übrigens 18 DIN A4 Seiten)

Was ist... Crafting

Crafting ist das Herstellen eigener Gegenstände in einem Online-Spiel. Es ist in vielen MMORPGs eine Alternative, um am Spielgeschehen etwa als Handwerker oder Schmied teilzuhaben - satt wie üblich Monster zu töten, Schätze zu suchen und die Prinzessin zu befreien. Diese Spielvariante ist angeblich weniger zeitaufwendig.

Crafting steht damit für einen gewissen Entwicklungstrend in der Games-Branche. Dem folgt offenbar die juristische Perspektive. Die meisten Diskussionen drehen sich bis jetzt um die rechtliche Einordnung von virtuellen Gegenständen.

Besonders in der Script-gesteuerten Umgebung des Second Life spielt das eigenhändige Herstellen von Objekten eine große Rolle. Die Bedeutung von virtuellen Gegenständen wird noch steigen, wenn gemeinsame Standards eine Übertragung von Gegenständen zwischen den Welten ermöglichen.

Havard- und Yale-Dozenten zum Thema Ö-Recht und Virtuelle Welten

Zwei zeitnahe Termine zum Thema Ö-Recht und virtuelle Welten:

"Real World"

Das Hans-Bredow-Institut lädt am 23.1.2008 zur Diskussion über "Chancen und Grenzen staatlicher Regulierung von virtuellen Welten". Vortragen wird Prod. Dr. Viktor Mayer-Schönberger, Associate Professor für Politik (Havard University, Kennedy School of Government).

Ob die Veranstaltung offen für jedermann ist, konnte ich leider nicht herausfinden.

"In World"

USC Network Culture und Global Kids diskutieren innerhalb der SecondLife-Umgebung über Virtuelle Welten und Bürgerrechte am 28.1.2008, 12:00 PST (Terra Nova - das müsste 21 Uhr MEZ entsprechen). Mit dabei ist Jack Balkin, seines Zeichens Professor für Verfassungsrecht und den ersten Zusatzartikel an der Yale Law School. Balkin fiel mir durch Monographien und Aufsätze zu diesem Themenkreis auf. Man darf sich also auf fundierte Diskussion statt hilfloses Geruder freuen.

Life-Streams der Veranstaltung sowie eine archivierte Version werden bei "Global Kids" angeboten. Man muss also Second Life nicht betreten.

Montag, 21. Januar 2008

13jährige virtuell zerstückelt, vergewaltigt - und Strafrecht hilft nicht?

Der WDR berichtet über den Fall einer 13jährigen, die als Prostituierte in Second Life Linden-Taschengeld verdiente.

"So wurde Barbara von ihren virtuellen Freiern nicht nur zu derben sexuellen Handlungen mit Tieren angehalten, sondern auch gefoltert und zerstückelt."

Dabei seien den deutschen Strafverfolgungsbehörden

"die Hände gebunden. Denn in den sonst so prüden USA ist die virtuelle Darstellung von Pornografie und Gewalt nicht verboten."
Die "sonst so prüden" USA stellen die Meinungsfreiheit tatsächlich über den Schutz vor virtuellen Pornos. Dies ist hierzulande jedoch zumindest für "normale" Pornografie ähnlich: Besonders bei Fiktivpornografie muss mit der Kunstfreiheit abgewogen werden (Schönke/Schröder, § 184 Rn. 5a). Bei harter Pornografie (Tier- Gewalt- und Kinderpornografie) ist die Abwägung durch den Gesetzgeber erfolgt - zulasten der Kunstfreiheit: Virtuelle Erscheinungsformen sind eingeschränkt strafbar.

Doch kommt es darauf an, was in den USA gilt?

Der Ort der Tat ist auch derjenige, bei dem sich die Tat auswirkt (§ 9 StGB). Hier ist allerdings einiges umstritten. Jedenfalls kann nicht jeder kriminelle Internetinhalt auf der Welt unter das deutsche Strafrecht fallen. Dennoch: Wenn die 13jährige Barbara in Deutschland von einem Amerikaner über Second Life zu virtuellen Perversionen getrieben wird, so reicht das deutsche Strafrecht durchaus.

Transatlantischer Kindesmissbrauch?

Es könnte nämlich ein Fall von Kindesmissbrauch vorliegen. Darunter fällt auch das Einwirken auf Kinder (unter 14jährige) durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen (§ 176 IV Nr. 4 StGB). Räumliche Anwesenheit des Täters ist dabei nicht erforderlich (BGH NJW 1980, S. 791, 792).

Weltrechtsprinzip für "harte Pornografie"?

Für "harte" Pornografie (§§ 184a, b StGB) gilt zudem das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 6 StGB). Dieses setzt laut BGH (nicht jedoch nach dem VStGB) einen Inlandsbezug voraus, der bei der Schädigung einer hier lebenden 13jährigen erfüllt ist. Dennoch ist die Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzip gerade in diesem Bereich umstritten.

Standort des Betreibers ist keine Ausrede

Dass der Betreiber in den USA sitzt, ist ohnehin keine Universalausrede. Strafrechtlich können auch die virtuellen Pornodarsteller, also die sie steuernden Nutzer, belangt werden. Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltsschaft Halle gegen unbekannte Nutzer wegen Kinderpornografie in einem anderen Fall laufen noch. Warum und wann auch fiktive Pornografie strafbar ist erklärt dieser frühere Beitrag.

Prävention statt Repression: Second Life und die Altersverifikation


Ein besserer Ansatz wäre ein Altersverifikationsverfahren durch den Betreiber von Second Life, LindenLabs. Ein solches wurde schon lange (seit Mai 2007) angekündigt. Es komme "demnächst", versicherte Lindenlabs gegenüber dem WDR und beruft sich im Übrigen auf die AGB - ganz so, als würden diese von der pubertierenden Web2.0-Generation auch nur eines Blickes gewürdigt. Man sträubt sich traditionell gegen jede Regulierung - und sei es für einen wirksamen Jugendschutz.

Donnerstag, 17. Januar 2008

Was sind... Dupes

Als "Dupe" (to dupe = betrügen) bezeichnet man virtuelle Gegenstände ("Items"), die durch Programme regelwidrig kopiert wurden.
Das Erotik-Bett aus dem bekannten Fall Eros ./. John Doe wurde durch ein solches Programm ("Copybot") kopiert.

Mittwoch, 16. Januar 2008

Das große Banken-Bibbern: Räumkommandos in "Second Life" - ein Subsumtionsversuch

Aus Spaß wird schon wieder Ernst: Nach Casinos werden nun auch dubiose Banken aus der bunten Welt der Avatare verbannt - Linden Lab will nunmehr nur noch Finanzdienstleister in Second Life zulassen, die über eine Behördenerlaubnis in der realen Welt verfügen, wörtlich:
"a registration statement, charter, or other applicable license from a governing regulatory authority"
Ab 22. Januar beginnen dann entsprechende Säuberungen bei "ATMs" (Automated Teller Machine, also Geldautomaten):
Thus, as we did in the past with gambling, as of January 22, 2008 we will begin removing any virtual ATMs or other objects that facilitate the operation or facilitation of in-world “banking,” i.e., the offering of interest or a rate of return on L$ invested or deposited.
[Hervorhebung hier im Original, im weiteren von mir]

Das Verschwinden von angeblich 750.000 US-Dollar (so das Handelsblatt und der Standard) beim virtuellen Automatenbetreiber Ginko Financial gab den Ausschlag. Wechselstuben "in World" geben sich gelassen, denn Linden bezeichnet als "Bank" nur solche Unternehmen, die auch Zinsen vergeben.

Ein Ausflug ins Bankenrecht - was ist eigentlich eine "Bank"?

Zum gesetzlichen Leitbild gehört die Verzinsung nicht zwingend. Ein kurzer Ausflug in den mir allerdings unvertauten Dschungel des Bankenrechts:

Wer braucht die Erlaubnis?

Ausgehend vom SL-Kriterium der offiziellen Lizenz beginnt die Expedition bei § 32 KWG. Eine Erlaubnis benötigt danach,
"(w)er im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will".
Geldwechsel als E-Geld-Bankgeschäft?

Das erste Erfordernis kann unterstellt werden und schließt v.a Kleinanbieter aus. Ein "Bankgeschäft" ist nach § 1 Abs. I Nr. 11 KWG auch:
"die Ausgabe und die Verwaltung von elektronischem Geld (E-Geld-Geschäft)"
E-Geld ist gem. Absatz 14 der Norm
"Werteinheiten in Form einer Forderung gegen die ausgebende Stelle, die auf elektronischen Datenträgern gespeichert sind gegen Entgegennahme eines Geldbetrags ausgegeben werden und von Dritten als Zahlungsmittel angenommen werden, ohne gesetzliches Zahlungsmittel zu sein."
Linden-Dollar werden bei ATMs durch Überweisung, PayPal-Dienste oder Telefonanruf gekauft (Bsp.). Mithin entsteht eine "Forderung gegen die ausgebende Stelle" (den ATM-Betreiber). Die Linden-Dollar werden an den Avatar (und mithin den Accountinhaber) über den Second Life-Betreiber Linden ausgegeben und von Linden sowie diversen Unternehmern in Second Life ("Dritten") angenommen.
Hier ist wohl problematisch, ob diese Vorgehensweise als "Ausgabe und Verwaltung" i.S.d. § 1 Abs. I Nr. 11 KWG gelten kann. Der Zahlvorgang wird von Linden vollzogen, jedoch vom Betreiber des Geldautomaten veranlasst. Da jedoch nach Eingang der Überweisung der Automatenbetreiber die Verantwortung für die Auszahlung des virtuellen Geldes übernimmt, spricht alles dafür, diesen auch als Verwalter anzusehen (siehe dazu diese FAQ als Beispiel).

Linden-Dollar sind natürlich "kein gesetzliches Zahlungsmittel". Auch werden sie auf "elektronischen Datenträgern" gespeichert, denn dies umfasst Telefonkarten, aber auch den Server. Hintergrund bildet nämlich die E-Geld-Richtlinie 2000/46/EG. Dort heißt es im dritten Erwägungsgrund:
(3) Für die Zwecke dieser Richtlinie kann elektronisches Geld (E-Geld) als elektronischer Ersatz für Münzen und Banknoten betrachtet werden, das elektronisch, beispielsweise auf einer Chipkarte oder in einem Computer, gespeichert wird und das generell dafür gedacht ist, Kleinbetragszahlungen elektronisch durchzuführen.
Auch ein Evaluationsbericht für die Kommission (allerdings nicht das Arbeitspapier der Kommission selbst) nennt im Rahmen der Unterkategorie "server-basiertes E-Geld" online-gaming zu den typischen Anwendungsgebieten (S. 29):
In recent years, a number of server-based products have emerged and
found relative success in catering to different “niche” markets, including person-to-person internet transactions, online gaming, and as payment instruments for persons without access to bank accounts or credit cards, such as young people or immigrant communities.
Was könnte also passieren?

Betreiben Unternehmer ein Bankgeschäft ohne die erforderliche Erlaubnis, so sind die Folgen schmerzhaft: Die BaFin kann das Unternehmen abwickeln lassen, § 38 KWG:
Werden ohne die nach § 32 erforderliche Erlaubnis Bankgeschäfte betrieben oder Finanzdienstleistungen erbracht oder werden nach § 3 verbotene Geschäfte betrieben, kann die Bundesanstalt die sofortige Einstellung des Geschäftsbetriebs und die unverzügliche Abwicklung dieser Geschäfte gegenüber dem Unternehmen und den Mitgliedern seiner Organe anordnen.
Die BaFin ist wohl keineswegs blind auf dem E-Geld-Auge: 2003 untersagte sie dem Unternehmen "e-dinar" das Geschäft in Deutschland. Also Grund zur Panik? Nicht unbedingt: Selbst wenn nämlich eine SL-Wechselstube als "Bank" im Sinne des KWG gelten sollte, ist die BaFin nicht gezwungen, einzuschreiten, § 2 V KWG:
Die Bundesanstalt kann im Einzelfall im Benehmen mit der Deutschen Bundesbank bestimmen, dass auf ein Unternehmen, das nur das E-Geld-Geschäft betreibt, die §§ 2c, 10 bis 18, 24, 32 bis 38, 45 und 46a bis 46c dieses Gesetzes insgesamt nicht anzuwenden sind, solange das Unternehmen wegen der Art oder des Umfangs der von ihm betriebenen Geschäfte insoweit nicht der Aufsicht bedarf.
...allerdings nur "im Einzelfall". Und eine dann noch erforderliche Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger ist derzeit nicht auffindbar.

SL-Geldautomaten illegal?

Sind SL-Wechselstuben nun illegal? Die Gefahr, die von sog. Netzgeld ausgeht, ist nicht unerheblich. So ermöglichen virtuelle Währungswechsel Geldwäschedelikte und Betrug - wie nicht zuletzt auch der ausschlaggebende Fall Ginko in Second Life illustriert (Klarstellung: Ginko bot absurd hohe Verzinsungen an und nicht lediglich den Währungstausch.). Es wird sich zeigen, ob die wirtschaftliche Bedeutung und die Zahl der Missbrauchsfälle irgendwann die Aufmerksamkeit der BaFin erregen werden. Die gesetzliche Handhabe für ein Einschreiten gegen Wechselstuben ist wohl gegeben. Für entsprechende Unternehmen und die virtuelle Welt bedeutet dies einiges an Rechtsunsicherheit.

Sie sind anderer Meinung? Nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion!


Verweise:

Haftungsrechtliche Folgen für Second Life könnten sich ergeben, wenn rechtmäßige Unternehmenspräsenzen und deren virtuelle Güter gelöscht werden. Davon wird noch zu berichten sein.

Auch Roger Bloomfield (Technology Review) hält es für möglich, dass Missbrauchsfälle reale Regulierungsbehörden auf den Plan rufen - oder aber die virtuelle Welt sich selbst reguliert.

Siehe zur Präsenz von Banken in Second Life auch folgenden RR-Beitrag: "Banken in Second Life".

Auch Steuerrechtler sehen die Gefahren des "in-World"-Geldtransfers, auf RR: "Reale Steuern auf virtuelle Gewinne".

Ginko bietet die Kompensation in Anteilen auf der virtuellen Börse wselive an. Siehe dazu auch Artikelauf second-life-info.de.

Virtually Blind (Benjamin Duranske) berichtet über die "SL-Bank" - ein positives Beispiel bänkerischen Unternehmertums in der virtuellen Welt.

Freitag, 11. Januar 2008

User Generated World - "Second Life"-Konzept für den Browser

Das MIT-Magazin Technology Review berichtet von einem neuen Metaversum namens Metaplace. Der Clou: Die Gestaltungsfreiheit von Second Life wird in ein Browser-Konzept übernommen. Welten werden von Nutzern geschaffen und besucht. Dazu muss (anders als bei Second Life u.a.) kein Programm heruntergeladen werden. Die Umgebung ist zweidimensional (später werden 3D-Elemente durch Flash ermöglicht). Der Übergang von einer gewöhnlichen html-Seite in eine bunte Spiele- und Socialnetworkwelt soll zerfließen.

Virtuelle Welten - nur ein neues Medium?
Ralph Koster (Metaplace) sagte im Gespräch mit Technology Review, virtuelle Welten seien nur ein neues Medium, das bald Bestandteil vieler Internetseiten werde.
Geplant ist also keine räumliche Version des Internets. Metaplace scheint vielmehr eine Art Universal-Bausatz für Spiele, Blogs und Homepages zu werden, bei dem auch der Tausch von Elementen eine große Rolle spielen soll. Wenn Nutzer A eine Ninjawelt aufbaut, kann er sie offenbar auch auf einem Facebook-Profil einbauen. Neue Besucher starten dort dann mit einem Standard-Avatar und sind im Spiel - ohne Anmeldung und Download.

Endlich der ersehnte Goldesel?

Wie bei vielen Web 2.0-Projekten so ist auch hier vorerst nicht klar, womit eigentlich das Geld verdient wird. Denkbar ist jedoch der kostenpflichtige Kauf von Ausstattung für die eigene Welt - ja, das passiert tatsächlich. Derzeit gibt es z.B. bei ebay Möbel für die virtuelle Kinder(!)welt "Habbo" zu kaufen:

Immerhin € 32,51. Aber Vorsicht:

"Da ich ein Privatverkäufer binn gibt es keine garantie,rückgaberecht!!!!!!!" (sic!)
Die lieben Kleinen...

Rechtsfragen

Grundsätzlich bestehen Gewährleistungsrechte beim Kauf virtueller Gegenstände durchaus, da man diesen als Rechtskauf ansieht (vgl. § 453 I BGB - h.M.).

Darüberhinaus ist jegliche Verwendung von User Generated Content rechtlich sehr problembehaftet (vgl. Beitrag von Carsten Ulbricht). Wenn die Inhalte der virtuellen Welten aus verschiedenen vorgefertigten Teilen anderer Nutzer (und des Betreibers) zusammengesetzt werden, ist fraglich,wem die Urheber- und Markenrechte an den Elementen zustehen.

Daneben stellen sich auch Fragen der Verantwortlichkeit. Die Welt oder ein in ihr verwendetes Element könnte beispielsweise eine Gefahrenquelle darstellen - sei es aufgrund ihres Inhalts (Pornografie, Nazi-Symbole, Volksverhetzung etc.) oder ihrer technischen Auswirkungen (Viren).

Siehe auch: Angeblicher Diebstahl von "Möbeln" im Wert von 4000 Euro bei Habbo - dieser stellt hierzulande freilich aufgrund des körperlichen Sachbegriffs keinen Diebstahl im Sinne des § 242 StGB dar.

Montag, 7. Januar 2008

Second Bühne: Theater im Metaversum

Das Abendblatt berichtet - schäumend vor Freude über die sich anbietenden Alliterationen - vom "World Wide Walhalla": Ibsens "Die Helden auf Helgeland" wird im Hamburger Schauspielhaus aufgeführt - und zugleich in Second Life. Die Kommentierung klingt durchaus wohlwollend: "Eine schlüssige Inszenierung, ein gelungenes Experiment" und "nicht nur eine hübsche Spielerei". Die Welt zitiert Regisseur Vontobel: "Eigentlich ist das ganze eine Art Puppenspiel." In der Rezension (wiederum Welt) liest sich das freilich so: "Mehr davon aber braucht das Schauspielhaus nicht".

Es berichten auch: Die taz, Spiegelonline, sowie der Deutschlandfunk.

Hier gibt es eine Nachbesprechung und Fotos, an dieser Stelle erzählen die Produzenten des virtuellen Parts von ihrer Arbeit.

Sonntag, 6. Januar 2008

Kinderporno ohne Opfer oder strafbares Spiel? "Age Play" in Second Life

Bis Mitte März 2007 wurde Second Life von den Medien begierig und oft unkritisch thematisiert. In das aufgekratzte Geschnatter platzte jedoch bald ein dunkles Ungetüm: Ein Bericht des Magazins "Report Mainz" über Kinderpornografie in der virtuellen Welt. Das Besondere: Die Nutzer von Second Life machten sich selbst - bzw. ihre Avatare - zum kindlichen Pornodarsteller in der 3D-Welt (sog. "Age Play"). Die Staatsanwaltschaft Halle nahm Ermittlungen gegen User auf. Das Verfahren läuft noch. Kürzlich berichtete SkyNews (hier als YouTube-Video) über verdeckte Ermittlungen der britischen Organisation CEOP gegen Nutzer auf dem virtuellen Kinderspielplatz "Wonderland".

[Update, 27.1.2008: Der Link zu Report Mainz funktioniert nicht mehr. Wohl lässt sich aber das Video ergoogeln. Im ursprünglichen Video erinnere ich zensierte Passagen - bei der ergoogelten Variante war leider nichts zensiert, lediglich unkenntlich gemacht. Ich überlasse es daher auch aus Haftungsgründen dem Leser, dieses Video ggf. selbst zu finden. - HW]

Kopfschütteln und Entrüstung - dennoch:

Ist das überhaupt strafbare Kinderpornografie?

Vor dem Blick in die einschlägigen Normen soll der Menschenverstand zu Wort kommen: Vom "Grundfall" der Kinderpornografie unterscheidet sich der vorliegende dadurch, dass gar keine Kinder beteiligt sind. Die Avatare wurden durch Erwachsene gesteuert. Also ein Verbrechen ohne Opfer?

Zugrundegelegt wird bei der folgenden Untersuchung, dass das virtuelle Geschehen anderen in audio-visueller Form zugänglich gemacht wird (live, als Video oder Screenshot).

Das deutsche Strafrecht: Tatobjekt virtueller Kinderporno

Straftatbestände im Zusammenhang mit Kinderpornografie sind in § 184b StGB normiert. Gem. Absatz I ist Kinderpornografie eine besondere Form pornografischer Schriften. "Schrift" ist in § 11 III StGB definiert, wogegen BGHSt 23, 40 (44) erklärt, was "Pornografie" ist, nämlich

"(...) eine Darstellung, die sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und unter Ausklammerung emotional-individualisierter Bezüge den Menschen zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht."

Die möglichen sexuellen Interaktionen von Second Life-Avataren decken ein weites Feld von Spielarten ab, so dass das Vorliegen von Pornografie an dieser Stelle ohne stilblütenreiches Subsumieren angenommen werden darf. Desweiteren wird auf die - verstörenden - Bilder im eingangs erwähnten Report verwiesen.

Das Problem liegt woanders: "Kinder" sind Personen unter 14 Jahren, wie sich aus dem Verweis auf § 176 StGB ergibt. Personen sind jedoch nicht beteiligt. Dem Wortlaut nach - der im Strafrecht besonderes Gewicht hat, Art. 103 II GG - fällt das virtuelle Geschehen nicht unter die Vorschrift.

Strafbarkeit realer, wirklichkeitsnaher und fiktiver Pornografie

Pornos ohne Beteiligung realer Menschen sind in gewisser Form seit langem bekannt: Es gab sie stets in Form von Zeichnungen und Romanen. § 184b I StGB umfasst auch solche fiktiven Darstellungen. Dies lässt sich systematisch aus dem Verhältnis von Absatz I zu den Absätzen II und IV schließen: Letztere betreffen den Besitz bzw. die Besitzverschaffung. Diese Tathandlungen erfordern weniger kriminelle Energie im Vergleich zum Verbreiten und öffentlich Ausstellen (etc.) und sind auch nicht genauso gefährlich. Daher ist der Kreis der Tatobjekte ausdrücklich eingeschränkt: Nur wenn ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen in den Pornos dargestellt wurde, ist schon das Verschaffen und auch der (vorsätzliche) Besitz (Absatz IV) verboten. In Absatz I sind also im Umkehrschluss auch wirklichkeitsferne und mithin fiktive Darstellungen umfasst. Dies sind z.B. kinderpornografische Comics.

Es ergeben sich damit drei Varianten von kinderpornografischem Material:

  1. tatsächliches Geschehen - Absätze I und II/IV, auch bloßer Besitz strafbar
  2. wirklichkeitsnahes Geschehen - Absätze I und II/IV, auch bloßer Besitz strafbar
  3. fiktives Geschehen - nur Absatz I greift (Verbreitung usw.), Besitz (-verschaffung) ist straflos

Keineswegs opferlos: Strafgrund für Fiktivpornografie

Fiktivpornografie ist aus systematischen aber auch sachlichen Gründen umfasst: Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Ds. 12/3001, PDF, dort S. 6) wird Pornografie mit kindlichen Darstellern sowie die Darstellung von posierenden Kindern von Tätern verwendet, um Ihre Opfer mit dem Anschein der Normalität gefügig zu machen.
Ein weiterer Grund ist die Gefahr der Tatnachahmung - was freilich unter Psychologen nicht unumstritten ist. So wird auch eine Katharsistheorie vertreten, derzufolge das Betrachten den Tatdrang abmildere (vgl. dazu ein Bericht der Zeit über eine diesbezüglich kritische Untersuchung). Zudem trifft das Nachahmungsargument auch auf virtuelle Tötungen, Diebstähle und Körperverletzungen zu. Wenn Maus Jerry dem Kater Tom in Spiel oder Comic mit dem Hammer auf den Schwanz schlägt, wird man das kaum verbieten (wollen) können.
Schließlich schaffen Erwerber von pädophiler Pornografie einen Markt für derlei Material (BGH 1 StR 66/01 - Urteil v. 27. Juni 2001, Rn 47, 55 - bei HRR-Strafrecht, sowie Duttge/Hörnle/Renzikowski, NJW 2004, 1070).

Dennoch: Unmittelbare Opfer gibt es bei der fiktiven Kinderpornografie nicht. Dem hat die Bundesregierung Rechnung getragen und die Abstufung zwischen Besitz von fiktiver und wirklichkeitsnaher Pornografie auch gegen Bedenken des Bundesrates durchgesetzt (S. 10 der Begründung).

Sind Second-Life-Pornos "wirklichkeitsnah"?

Tatsächlicher Kindesmissbrauch (§§ 176-176b StGB) findet in Second Life nicht statt, sofern Erwachsene die Avatare steuern (so auch Lober im Interview mit dem Stern, anders aber unzutreffend dieser Artikel der ZEIT). Aber sind Second Life-Szenarien nicht "wirklichkeitsnah"? Dies erfordert eine derartige Realitätsnähe, dass der unbedarfte Beobachter nicht entscheiden kann, ob das Material auf einem tatsächlichen Geschehen beruht. Damit wollte man Abgrenzungsfragen erleichtern. Zugleich gebietet jedoch die Systematik (und Art. 103 II GG) eine restriktive Auslegung.
Nach dem derzeitigen Stand der Technik (wohl auch in der neuen Version) des "Second Life" (und auch anderer virtueller Welten) ist Wirklichkeitsnähe noch nicht gegeben. Ein unbedarfter Betrachter weiß sofort, dass das Geschehen computergeneriert ist. Wer jedoch moderne Grafiktechnologien kennt und etwa aktuelle Spiele gesehen hat, weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Darstellung "wirklichkeitsnah" ist.

Die figürliche Darstellung von Kindern in Second Life gleicht derzeit noch einer comicartigen Darstellung und könnte mithin nur von der fiktiven Pornografie gem. § 184b StGB umfasst sein.

Ergebnis: Besitz(-verschaffung) straflos, Verbreitung strafbar.

Damit ist bis jetzt der Besitz (sowie die Besitzverschaffung) von Aufnahmen derartiger Geschehen straflos (für eine Schließung dieser Lücke Hoeren, Internetrecht (Skriptum) Rn. 806). Tathandlungen nach § 184b I StGB bleiben jedoch umfasst. Veranstalter entsprechender Events "in World" sowie deren Teilnehmer dürften sich daher wegen "Verbreitung" strafbar machen (Nr. 1 - so jedenfalls die Rechtsprechung, umstritten).
Zudem erlaubt Second Life zunächst jedem den Lesezugriff. Damit machen Teilnehmer am "Age Play" den fiktiven Sex mit Kindern "öffentlich (...) zugänglich" i.S.d. § 184b I Nr. 2 StGB (vgl. zum sonstigen Internet Schönke-Schröder, § 184, Rn. 6.

Fazit: Neben Kopfschütteln und Entrüstung ist auch noch Raum für einen Strafantrag auf bis 5 Jahre Haft. "Wonderland", jener Kinderspielplatz für Pädophile in Second Life wurde inzwischen offenbar geschlossen.

Fortsetzung folgt in künftigen Beiträgen:
  • Ist der Betreiber verantwortlich?
  • Internationale Bezüge: - wie sieht die Rechtslage im Ausland aus? Wie steht das Völkerrecht zu der Frage?
Hinweise für Juristen:
  • Es ist umstritten, ob für Internetdarstellungen 184b StGB oder 184c StGB einschlägig ist. Der BGH wendet § 184b StGB an, da für ein "Verbreiten" das Laden in den Arbeitsspeicher des Rechners genüge. Hintergrund: Effektive Strafverfolgung werde nur so möglich. A.A. Teile der Literatur, Schönke/Schröder § 184b Rn. 5 m.w.N.. Dann wäre als Tathandlung der weitere Verbreitungsbegriff des § 184c StGB zugrundezulegen. Dieser umfasst - ähnlich wie § 184b I Nr. 2 - das Zugänglichmachen (Tröndle/Fischer, 54. Auflage, § 184c Rn. 5).
  • Pornografie kann Kunst sein. Eine Abwägung ist jedoch bereits in § 184b StGB erfolgt, so dass die künstlerische Ausgestaltung etwa der beteiligten Avatare oder des Spiel-Szenarios keine andere Bewertung ermöglicht (Hopf/Braml, ZUM 2007, 358).
  • Angeblich hat Second Life-Betreiber Linden Lab ein Rechtsgutachten bezüglich der eigenen Verantwortlichkeit für rechtswidrige Pornografie "in World" in Auftrag gegeben. Dieses wird gegebenfalls nachgereicht oder ausgewertet.
Artikel zum Thema:
  • Der Bericht des "Report Mainz" - er gab Anstoß für die Debatte um Kinderpornografie in Second Life.
  • Benjamin Duranske (Virtually Blind) über die rechtlichen Aspekte und einige Gerüchte über Linden Lab-Reaktionen (engl).
  • Bericht der FAZ vom Mai 2007 - Tenor ist die Abkühlung des Hypes. So düster dürfte das wohl heute keiner mehr sehen.
  • Stern vom Mai mit Interviewpassagen mit RA Andreas Lober über die Frage von Kindesmissbrauch.
  • Die Netzzeitung über virtuellen Sex mit Tieren - zugleich Interview mit RA Stephan Mathé. Ein weiteres Interview mit Mathé führte onlinewelten.de.
  • Artikel der Zeit über die Auswirkungen von Internetpornografie und die Katharsis-Theorie.
  • Aktueller Bericht von SkyNews auf YouTube

Samstag, 5. Januar 2008

First Life, but better.

Berichten zufolge (z.B. pressetext.at) steigt Google in das Geschäft der Metaversen ein. Google ermöglicht bereits die Erstellung und den Tausch von 3D-Modellen bevor sein Metaversum (vermutlicher Name: "Myworld") als Umgebung aufgebaut ist. Gerüchte besagen: Google plant eine 3D-Welt im Zusammenspiel mit dem bereits beliebten Duo Google Earth/Google Maps. Es würde damit keine Fantasiewelt geschaffen, sondern eher eine Art Kopfreise-Möglichkeit angeboten.

Dieter Fellner, Leiter des Darmstädter Fraunhofer-Instituts meinte zu "pressetext.at", dass wohl auch Microsoft diese Technik nutzen werde.

Die Möglichkeiten für Unternehmen wären enorm - sowohl für Anbieter von Routenplanern als auch werbende Unternehmen. Diese könnten zunächst virtuell besucht werden. Time is schließlich money.

Update: Das renommierte "Technology Review" (107 Jahre alt) berichtet unter dem Titel "Second Earth" über derartige Tendenzen (kostenlose Registrierung notwendig).

Mittwoch, 2. Januar 2008

Was ist... ein Avatar?

Avatar nennen Nutzer ihre grafische Erscheinungsform in einer virtuellen Umgebung. Ursprünglich bezeichnet Avatar(a) die menschliche oder tiergleiche Gestalt eines Gottes im Hinduismus. Der Begriff wird (wie auch Metaversum) jedoch zumeist zurückgeführt auf den Cyberpunk-Roman "Snow Crash" von Neal Stephenson aus den Neunzigern. Stephenson wies jedoch eigens darauf hin, dass der Name schon von anderen Programmierern des Online-Projekts "Habitat" in dieser Weise verwendet worden ist.

Trivia: Stephenson selbst ist nicht gerade Fan des virtuellen Lebens. Im sehr lesenswerten Interview mit der Netzeitung stellte er fest:
Wenn ich auf meinem Totenbett liege, werde ich kaum sagen: Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit damit verbracht, auf meinem Arsch zu sitzen und auf Pixel zu starren.