Der folgende Beitrag stellt die Problematik anhand der verfügbaren Anträge und Gutachten der Streitparteien dar. Dazu wird zunächst dargestellt, wie sich die Verwendung von „Bot“-Hilfsprogrammen auf Spiel und Betreiber auswirkt. Dann folgt die rechtliche Einordnung: Blizzard argumentiert, dass Spieler, die Cheat-Bots verwenden, das Urheberrecht am Spiel selbst verletzen. Wer die zugehörigen Programme herstellt, würde bei diesem Verstoß helfen und sich folglich selbst rechtswidrig verhalten. Außerdem würden Schutzmechanismen umgangen. Dagegen ist MDY Industries der Auffassung, nicht sie als Hersteller, sondern allenfalls die Nutzer würden einen Rechtsverstoß begehen.
1. Problem: Störung der Spielbalance
Online-Spiele leben vom Zusammenspiel zum Teil tausender Menschen. Manchmal steht der Wettbewerb im Vordergrund, stets geht es jedoch um das gemeinsame Erleben von Abenteuern in einer Fantasy-Umgebung. Wenn jemand bei so einem Spiel maschinelle Hilfe in Anspruch nimmt, um schneller voranzukommen, ist er ein "Spielverderber" - so lässt sich zusammenfassen, was Blizzard und Vivendi dem Hersteller des Cheat-Bots, MDY Industries, vorwerfen. Der Cheatbot ist ein Programm, dass die Steuerung der Spielfigur übernimmt - während der Spieler sich ausruht, zur Schule geht oder arbeitet. Die Spielfigur streift währenddessen selbständig Tag und Nacht durch die virtuellen Landschaften, sammelt Gold und besiegt Monster. Während Spieler normalerweise ca. 480 Stunden spielen müssen, um Spitzenniveaus zu erreichen, gelangt der Cheat-Bot bereits nach knapp einem Monat ans Ziel. Dies geht aus einem Gutachten hervor, dass die WoW-Betreiber von Edward Castronova erstellen ließen, seines Zeichens Ökonom und Spezialist in Sachen virtuelle Welten an der Indiana University. Inzwischen sind dermaßen viele automatisierte Spieler unterwegs, dass das Spielerlebnis nachhaltig gestört wird - Castronova spricht von einer "World of Botcraft".
Solche "unsportlichen" Methoden sind in der Regel untersagt (4.B. der WoW-AGB). Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Zum Einen stören die Eingriffe die Spielbalance - das virtuelle Doping vereitelt den fairen Wettkampf und führt zu Frustration bei den Spielern. Der Verlust von Abonnenten und Spiel-Reputation ist die Folge, außerdem müssen Betreiber kostenintensive Maßnahmen ergreifen, um gegen die Mogeleien vorzugehen. Blizzard berichtet von 465.000 Beschwerden. Zur Einordnung: WoW hat derzeit gut 10 Millionen Abonnenten (vgl. Pressemitteilung Blizzard vom 22. Januar 2008). Zum Anderen erreichen die Mogler schneller das Ziel des Spiels - und damit wird das Produkt auch für sie selbst langweilig. Da die Betreiber von WoW ihren Gewinn zu einem Großteil mit den monatlichen Gebühren erzielen, ist dieser Effekt unerwünscht. Im vorliegenden Streitfall beläuft sich Blizzards Schaden pro Mogler allein aufgrund des schnelleren Spiels angeblich auf ca. 105 US-Dollar.
2. Rechtliche Argumente
Es folgen die wesentlichen Argumente der Streitparteien, übertragen in deutsche Terminologie - Grundlage im Original ist jedoch das US-amerikanische Recht und insbesondere der Digital Millennium Copyrights-Act (DMCA).
a) Urheberrechtsverletzung
Blizzard erkennt in der Interaktion des Cheat-Bots mit WoW im Arbeitsspeicher (RAM) des Nutzers eine rechtswidrige Vervielfältigung. Spieler würden WoW mit dem speziellen Startprogramm des Cheat-Bots hoch fahren und so Schutzmaßnahmen rechtswidrig umgehen. Dadurch gelange nicht nur die gegebenenfalls rechtmäßig gekaufte Software von WoW in den Arbeitsspeicher, sondern sukzessive weitere geschützte Inhalte aus dem Internet, je tiefer der Avatar in die virtuelle Welt vordringt. Zum Teil würden dadurch Areale geladen, die nur aufgrund des ermogelten hohen "Levels" zugänglich sind.
b) Verantwortlichkeit des Herstellers
Nach Blizzards Auffassung sei der Hersteller der Bots für diese Urheberrechtsverletzung auch verantwortlich ("liable"), wenn er von dem Verstoß wusste und diesen begünstigte ("knowledge of the infringing activity and induce, cause, or materially contribute to the activity" - offenbar eine Stufe zwischen Störer und Gehilfe). Blizzard zitiert dazu einen Präzedenzfall, demzufolge ein Software-Hersteller dann als verantwortlich gilt, wenn das von ihm hergestellte Produkt nicht dazu dienen kann, substantiell oder in wirtschaftlich wesentlichem Maße ("substantial or commercially significant") rechtmäßig verwendet zu werden.
Schließlich, so Blizzard, sei der Hersteller auch deshalb verantwortlich, weil er jederzeit die Benutzung bereits verkaufter Bots unterbinden könne, indem er den zugehörigen Nutzungsschlüssel ("Product Key") sperrt.
c) Gegenargument: Nur Vertragsverletzung durch Spieler
MDY Industries hält dem entgegen, dass Blizzard letztlich nur Vertragsverletzungen durch die Spieler geltend machen könnte. Aber selbst wenn durch die Verwendung des Cheat-Bots der Vertrag zwischen Spieler und Blizzard verletzt würde, bedeute das keine Beeinträchtigung des Urheberrechts. Der DMCA bezwecke nicht die bessere Durchsetzung von Lizenzabkommen sondern den Schutz des Immaterialgüterrechts. Die unerlaubte Benutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks sei für sich genommen nicht rechtswidrig.
Für eine Verletzung des Urheberrechts durch Umgehung der Schutzmechanismen sei erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang ("Nexus") bestünde zwischen der Überwindung und dem dadurch ermöglichten Nutzen der Software. Selbst wenn also Schutzmechanismen bei der Verwendung des Cheatbots umgangen würden, so würde der Nutzer doch nur dasselbe Spiel benutzen, für das er seine Gebühren entrichte.
d) Unrechtmäßige Einmischung in Verträge Dritter?
Außerdem stützen sich Blizzard und Vivendi auf die Rechtsfigur der "unrechtmäßigen Einmischung" (tortious interference). Damit ist die bösgläubige Einmischung in Vertragsverhältnisse Dritter gemeint. Das Schutzgut dieser Rechtsfigur ist offenbar dem unsrigen "Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" entfernt ähnlich. Die Voraussetzungen dieser Rechtsfigur liegen jedoch nach Ansicht der Gegenseite nicht vor: Erstens, Bösgläubigkeit ("improperly as to motive or means"), zweitens, vorsätzliche Einmischung durch Verursachung eines Vertragsbruchs ("intentionally interfered by causing a breach" und Drittens, ein Schaden ("damage"). Den Schaden beziffert Blizzard indes mit 2,5 Mio. US-Dollar allein aufgrund der erhöhten Verwaltungskosten sowie 10,5 Mio. US-Dollar aufgrund gekündigter Abonnements frustrierter Nutzer.
e) Wettbewerbsverstoß
Auch ein Wettbewerbsverstoß wird von MDY zurückgewiesen, vermutlich, weil es dafür bereits an einem Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Spielebetreiber und dem Hersteller des Cheat-Bots fehlt.
3. Ausblick
Was können Betreiber, Spieler und Juristen von dem Ausgang dieses Verfahrens erwarten?
a) Wenn es zur Entscheidung kommt
Selbst wenn dieser "virtual law"-Fall nicht wie andere Fälle in einem Vergleich endet, so sollte seine unmittelbare Bedeutung nicht überschätzt werden. Wenn MDY gewinnt, bedeutet dies keinen Freibrief für die Nutzer der Bots - denn trotzdem stellt dies eine Vertragsverletzung durch die Nutzer dar und kann mit dem Rauswurf aus der virtuellen Welt geahndet werden. Wenn Blizzard und Vivendi gewinnen, wird die gewerbliche Herstellung des Cheatbots verboten - dennoch wird er oder ein ähnliches Modell weiterhin Verwendung finden.
b) Schummler vor Gericht - Tendenz zunehmend
Computerspielverderber beschäftigen die Gerichte zunehmend. Vor Kurzem hatte das AG-Köln zu entscheiden, ob der Ausschluss eines Profi-Computerspielers wegen Verwendung eines Cheat-Bots rechtmäßig war. Gegen eine Tauschbörse für durch Bots angehäuftes "Gold" ("goldfarming") wurde in den USA bereits eine Sammelklage eingereicht (Hernandez v. Internet Gaming Entertainment, Ltd et al) - um nur zwei Beispiele zu nennen. Neben dem Verwenden von Hilfsprogrammen ist auch das AGB-widrige "Anmieten" von Profi-Spielern beliebt ("Powerlevelling"). Der Schutz von Online-Rollenspielen (MMORPG) als abgeschlossene Ökosysteme der Unterhaltung vor Eingriffen durch "Cheater" stellt das Recht vor Herausforderungen, die offenbar nicht allein durch ausgeklügelte AGB bewältigt werden können.
c) Parallelen zur Forenhaftung
Der Versuch, anstelle des unmittelbaren Täters den Intermediär haftbar zu machen, ist aus der Diskussion um Forenbetreiber bekannt. Blizzard greift MDY mit dem Argument an, ihr Cheatbot sei nur für den Rechtsbruch durch die Nutzer geschaffen. Mit einem verblüffend ähnlichen Argument differenzierte jüngst das LG Düsseldorf, Urteil v. 23.01.2008 - Az.: 12 O 246/07 zwischen dem Webspace-Anbieter "rapidshare" und ebay: Zwar dürfe die Betreiberhaftung nicht das Geschäftsmodell einer Plattform (ebay) vernichten (vgl. BGH Urteil vom 11.03.2004 I ZR 304/01 - JurPC Web.-Dok. 265/2004 Abs. 46). Jedoch sei dies anders zu beurteilen, wenn die fragliche Plattform "nicht hauptsächlich für legale Aktivitäten genutzt wird". Nach ähnlichen Kriterien wird auch die Zulässigkeit von Manipulationen an Spielkonsolen beurteilt (vgl. dazu Arnold, MMR 2008, S. 144).
Links
- Antrag von MDY Industries auf Feststellung der Rechtmäßigkeit (Justitia).
- Antrag von Blizzard / Vivendi auf Unterlassung und Schadensersatz (Justitia).
- Meldung bei Heise.de.
- Virtually Blind mit Links zu Anträgen und Gutachten.
Update 31.3.2008: Der Beitrag wurde ein wenig aufgehübscht und erschien zwischenzeitlich bei Telemedicus.