Samstag, 31. Mai 2008

Reales Recht für Virtuelle Welten - ein Konferenzbericht

Und wieder flogen die Penisse - das bekannte Beispiel von Anshe Chung, jenem Avatar, der auf einer virtuellen Pressekonferenz das Ziel einer Phallus-Attacke wurde, durfte natürlich nicht fehlen. Doch das Thema der von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Hans-Bredow-Institut veranstalteten Konferenz mit dem Titel „Reales Recht für virtuelle Welten“ war grundsätzlicher Natur: Ist das Recht Hemmschuh oder Entwicklungsvoraussetzung für virtuelle Welten? Ein kursorischer Rückblick.

[zugleich veröffentlicht bei telemedicus]

Die Konferenz war zweigeteilt: Auf einem nichtöffentlichen Workshop diskutierten tagsüber internationale Experten in mehreren Abschnitten schwerpunktmäßig Fragen des virtuellen Eigentums, der Persönlichkeitsrechte sowie allgemeiner Abgrenzungsfragen zwischen Spiel und Realität. Die Diskussion setzte sich mit leicht verändertem Schwerpunkt bei der öffentlichen Podiumsdiskussion am Abend fort. Dort stand das Thema Jugendschutz im Vordergrund sowie die Frage, ob die deutsche Rechtslage im internationalen Vergleich ausreichend attraktive Bedingungen für Betreiber virtueller Welten bietet.

I. Die Podiumsdiskussion

Zu diesen in Politik und Praxis relevanten Aspekten äußerten sich Dorothee Belz (Microsoft Deutschland) sowie Andreas Lober (Kanzlei SchulteRiesenkampff) sowie die Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn (SPD). Insgesamt wurde die Regulierung zurückhaltend angesehen. Insbesondere Richard Bartle, Professor an der Universität Essex und der Co-Autor der ersten virtuellen Welt („MUD-1“) sprach sich für zurückhaltenden Umgang bei der Regulierung virtueller Welten aus. Computerspiele seien schützenswertes Kulturgut und im wesentlichen harmlos. Sowohl am Abend als auch tagsüber vertreten waren Viktor Mayer-Schönberger (Kennedy School of Government / Harvard University) sowie Wolfgang Schulz (Hans-Bredow-Institut), der die Diskussion durchgehend moderierte. Mayer-Schönberger mahnte die deutsche Politik zur Zurückhaltung: Regulierungsambitionen verglich er mit dem Stühlerücken auf der Titanic – denn die Betreiber virtueller Welten seien schon längst im liberaleren Ausland.

II. Der Expertenworkshop

Mayer-Schönberger war es auch, der mit einer Keynote den Workshop einleitete. Er warnte erneut vor einem Abwandern virtueller Welten in liberale Rechtssysteme oder gar in dezentrale P2P-Strukturen. Die Lösung: Anstelle eines staatlichen Direktzugriffs solle die Regulierung zwar staatlich gefördert, unmittelbar jedoch durch den Betreiber erfolgen. Urs Gasser (Universität St. Gallen, Schweiz) sekundierte mit Streitschlichtungsmodellen als Beispiel für Selbstregulierungsmaßnahmen in virtuellen Welten.

Die Grenze zwischen Virtualität und Realität

Bryan Camp (Texas Tech University of Law, Lubbock, USA) sprach sich dafür aus, bei der Analyse stets das Bild einer Theateraufführung im Blick zu behalten, um Realität und "zeroes and ones" auseinanderzuhalten. Dementsprechend hielt er virtuelle Einkünfte erst dann für steuerpflichtig, wenn sie in echtes Geld umgewandelt werden - eine Auffassung, die auch Gegenreden provozierte. Oliver Castendyk (Erich-Pommer-Institut, Potsdam) zog die Grenzen zwischen Spiel und Ernst anhand der Haftungsregeln, wie sie der BGH im Pogo- bzw. Rempeltanz dargelegt hatte. Rechtsverletzungen jenseits der Sittenwidrigkeit seien nicht einwilligungsfähig und die Spieler zumindest insoweit geschützt.
Viele Diskutanten teilten die Auffassung, dass unterschiedliche Auffassungen zum Thema "virtuelle Welten" auf eine fehlende Taxonomie zurückzuführen seien. Hinter dem Begriff verbergen sich so unterschiedliche Produkte wie das Rollenspiel „World of Warcraft“ aber auch „Second Life“. Ein Aspekt, der vom ebenfalls teilnehmenden Ren Reynolds (The Virtual Policy Network) bereits an anderer Stelle angesprochen wurde.
Wolfgang Schulz zeigte auf, in welcher Weise das Geschehen "in-world" mit dem realen Recht in Berührung tritt - und welche Konsequenzen man sich mit den einzelnen Rechtsgebieten "einkauft".

Virtuelles Eigentum

Matthias Lehmann (Universität Bielefeld) bereitete den Boden mit Ausführungen zum Eigentumsbegriff im deutschen Recht. Die Schlüsselfrage: Welche Rechtsnatur haben virtuelle Gegenstände und Avatare? In keinem anderen Zusammenhang traten die Unterschiede zwischen common und civil law deutlicher zu Tage. Der Begriff der „ownership“ und seine jeweils rechtliche Konnotation sorgte für rege Diskussion in der internationalen Teilnehmerschaft und dürfte auch die Nerven der Dolmetscherinnen auf die Probe gestellt haben. Trotz rechtskultureller und rechtsbegrifflicher Unterschiede schien sich die Problematik auf das aus anderen Zusammenhängen bekannte Körperlichkeitsproblem zu konzentrieren. Julia Striezel (Universität Bayreuth) wies in diesem Zusammenhang auf das virtuelle Hausrecht hin. Weiterhin wurden – eingeschränkt – auch Parallelen zum Hausrecht des Sportveranstalters gezogen.
Joshua Fairfield (Washington & Lee University School of Law) stellte die Grenzen dar, in denen das Vertragsrecht zur Regulierung der Rechtsverhältnisse der virtuellen Akteure genügen könne. Darüber hinaus regte er zum Nachdenken über „Virtual Property“ als Lösung für Haftungsfragen an und zitierte Spiderman: „With great power comes great responsibility.“ Die Anerkennung virtuellen Eigentums sei als Voraussetzung für Ökonomisierung zu sehen. Greg Lastowka (Rutgers School of Law, Camden) stellte die amerikanischen Konzepte „Cyberproperty“ und „Virtual Property“ einander gegenüber.

Persönlichkeitsrechte an Avataren

Hindert das reale Recht, insbesondere das Persönlichkeitsrecht, virtuelle Terroristen daran, den Avatar Anshe Chung mit dreidimensionalen Phalli zu bombadieren? Ulf Müller (ITM) ging noch einmal dieser Frage nach und wies dabei darauf hin, dass die Anerkennung von solchen Rechten bis auf weiteres ausschließlich den steuernden Menschen vorbehalten sei. Ein Durchschlagen von Beleidigungen des Avatars auf den Menschen wurde allerdings überwiegend für möglich gehalten – mit Einschränkungen: Wie ist es zu beurteilen, wenn (wie im Falle Chung) mehrere Personen einen Avatar steuerten? Müller entwarf auch das Szenario intelligenter Agenten – in ferner Zukunft sei angesichts neuer Technologien über die Beleidigungsfähigkeit von Avataren erneut nachzudenken.

Bartle: Das Spielerische nicht vergessen

Richard Bartle bezog in seiner Schlussnote zu den einzelnen Punkten Stellung und sprach sich insbesondere dafür aus, den Spielcharakter virtueller Welten nicht außer Acht zu lassen. Es sei letztlich auch Sache der Spieler, sich für oder gegen eine Welt zu entscheiden und damit für und gegen deren Regulierungsrahmen.

III. Kommentar

Als auf der Podiumsdiskussion um den internationalen Wettbewerb der Rechtssysteme debattiert wurde, zeigte sich, dass nicht nur die Berührung von virtueller und realer Welt Fragen aufwirft - sondern auch das Zusammentreffen von common law und civil law. Das ist in virtuellen Welten so spürbar wie in wohl keinem anderen Online-Angebot und ruft nach Expertise im internationalen Privatrecht - ein Thema, dass auf der Konferenz allerdings für unbehagtes Räuspern sorgte.
Als Salz in der Suppe traten die Skeptiker an diesem Tag auf: So fragte Leible anfangs recht direkt, was denn überhaupt reguliert werden solle. Belz stellte nüchtern fest, dass Welten wie Second Life nicht unbedingt im Focus der industriellen Aufmerksamkeit stünden - sondern Spiele. Im Übrigen, so die Volljuristin, machten juristische Gedankenspiele "zwar Spaß", seien aber nicht unbedingt bedeutsam für die Praxis. Monika Griefahn sah das Problem vor Allem beim Vollzug und weniger im materiellen Recht.
Dieser Skepsis sollten sich die Juristen unter den Game-Forschern mutig stellen. Virtuelle Welten treiben in vielerlei Hinsicht nur auf die Spitze, was in anderer Form bereits existierte. Von daher wenig überraschend der - wenn auch nicht tutti gespielte - Schlussakkord der Runde: Neue Regeln will momentan eigentlich niemand.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Der böse Schein

Das Bundesinnenministerium hat ein Werk der Bundeszentrale für politische Bildung gestoppt, in dem das Medium Computerspiele vorgestellt werden sollte ("Computerspiele(r) verstehen"). Grund hierfür: Plagiatsvorwürfe und v.a. die große Branchennähe.

An der FH Köln scheint es dahingehend an Fingerspitzengefühl zu fehlen. Als vor kurzem die Konferenz "Clash of Realities" startete, sponsorte Electronic Arts die Veranstaltung - was ebenfalls etwas merkwürdig anmutete. Auch wenn sich das Sponsoring nicht auf die Neutralität der Beiträge ausgewirkt haben soll, bleibt der Wunsch nach einer Spieleforschung, die auf eigenen Füßen stehen kann.

Dienstag, 13. Mai 2008

WoW-Cheatbot-Interview II

(In letzter Zeit habe ich häufiger besonders unsympathische Auswüchse juristischer Eitelkeit erleben dürfen. Z.B. Selbstreferenzen über Artikel, die man gerade für die XY-Zeitschrift am schreiben sei und die wohl eigene fachliche (und - werweiß - auch menschliche) Überlegenheit untermalen sollten. Bin ich auf dem Wege dorthin, wenn ich an dieser Stelle (erneut) über einen Interviewtermin berichte? Was soll's, ich bin ""jung"" und brauche die Aufmerksamkeit. Also:)

Am Samstag lief auf RadioFritz ("Trackback") ein kurzes Interview zum offenbar recht populären Cheatbot-Thema.
Der Moderator Markus Richter wollte gern eine sichere Aussage (etwa: "Ihr Cheater werdet alle übermorgen auf 1000 Euro Schadensersatz verklagt und dann vollkommen zu Recht eingesperrt!!"). Da habe ich mich lieber schnell in den Irrealis geflüchtet.

(So sind sie, die Juristen: eitel und nebulös.)

Donnerstag, 8. Mai 2008

Podiumsdiskussion in Berlin: Reales Recht für virtuelle Welten

"Hindernis oder Voraussetzung für die Entfaltung des sozialen und wirtschaftlichen Potentials?"

Unter diesem Titel laden die Friedrich-Ebert-Stiftung und das hamburger Hans-Bredow-Institut zur Podiumsdiskussion nach Berlin. (s. Flyer)

Thema:

"Regulierung in und von
virtuellen Online-Welten. Dabei soll es insbesondere um
Chancen und Risiken nationalstaatlicher Interventionen
gehen."
Auszug der Gästeliste:
  • Prof. Richard Bartle, Ph.D. University of Essex, Großbritannien
    • er ist der Co-Autor der ersten "virtuellen Welt" (MUD-1)
  • Dorothee Belz
    • Direktor Law & Corporate Affairs, Microsoft Deutschland GmbH, Unterschleißheim
  • Monika Griefahn, MdB
    • Sprecherin der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
  • Dr. Andreas Lober
    • Rechtsanwalt, Kanzlei Schulte Riesenkampff, Frankfurt
    • Autor von "Virtuelle Welten werden Real" - übrigens ein guter Einstieg in die Materie
  • Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger
    • John F. Kennedy School of Government an der Harvard University, Cambridge, USA
    • von ihm hatte ich schon einmal berichtet

Montag, 5. Mai 2008

Von hier nach da: Virtuelle Inhalte werden verkehrsfähig

Erneut ein Bericht zur Transportabilität von Avataren auf Technology Review. Abstract gibt's bei Heise - ich erspar's mir daher. Mit solchen Interoperabilitäten/Interkonnektivität steigt die Chance, absolute Rechte am Avatar zu erhalten. Auf diese Weise verringert sich die Abhängigkeit vom Betreiber erheblich, die Zuordnung zum Spieler wird eindeutig. Der Avatar "to go" ist außerdem ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur wahren Identitätschaffung im Netz und bringt dabei erneut persönlichkeitsrechtliche Fragen auf.

Ähnlich starke Auswirkungen könnte die Interoperabilität im Hinblick auf Gegenstände haben: Schon früher hatte Technology Review über erste Versuche berichtet, virtuelle Gegenstände von den Gesetzen ihrer Welt zu lösen - und damit verkehrsfähig zu machen.

Das Ziel ist ein 3D-Internet, das auf gemeinsamen Standards aufbaut. Obwohl es bis dahin noch zahlreiche Fragen zu lösen gibt, ist eine Grundvoraussetzung eines solchen 3D-Internet doch glasklar: Die Nutzer müssen sich frei von einer Welt zur nächsten bewegen können, ähnlich wie man dies heute zwischen Websites tut.

Gemeinsame Standards könnten sicherlich den Handeln mit Gegenständen ankurbeln, wenn diese nur einmal entwickelt und plattformübergreifend verkauft werden können. Ein bei World of Warcraft gefundenes Schwert könnte bei Second Life in die Verkaufs-Vitrine gestellt werden. Stellt sich beim Avatar vornehmlich die Frage nach der Geltung von Persönlichkeitsrechten, so kristallisiert sich bei virtuellen Gegenständen zunehmend die Frage nach den Eigentumsrechten heraus - welche Rechte habe ich an meinem virtuellen Stuhl? Das Urheberrecht allein wird diese Fragen jedenfalls nicht beantworten können, da die Mehrzahl der virtuellen Gegenstände nicht die nötige Schöpfungshöhe aufweist. Dennoch steckt viel Arbeit in ihrer Erstellung.

Auf Dauer wird sich hier die Zweigespaltenheit der virtuellen Welten fortsetzen: "Perokul der Ork-Schlächter" aus einem Online-Spiel wird wohl kaum zu einem Meeting in einer sozialen Welt wie Second Life auftreten. Andersherum wird niemand in World of Warcraft ein Interesse daran haben, dass eine Laserkanone aus Starwars oder ein BMW aus Second Life importiert wird. Interoperabilität ist daher vorwiegend ein Thema für soziale Welten, in denen keine sportlichen Wettbewerbsregeln gelten und das ggf. produktive Miteinander und die Vielfalt im Vordergrund steht.

Freitag, 2. Mai 2008

J!Cast-Interview zu World of Warcraft und Cheatbots

Vor kurzem beehrte mich das J!Cast-Team mit einem Interview zum Thema "World of Warcraft" und sog. Cheatbots. Das Thema interessiert mich seit einer Weile und mittlerweile sogar Spiegelonline. J!Cast hatte schon früher virtuelle Welten im Programm.

Die Links im Einzelnen: