Bis Mitte März 2007 wurde
Second Life von den Medien begierig und oft unkritisch thematisiert. In das aufgekratzte Geschnatter platzte jedoch bald ein dunkles Ungetüm: Ein Bericht des Magazins
"Report Mainz" über Kinderpornografie in der virtuellen Welt. Das Besondere: Die Nutzer von Second Life machten sich selbst - bzw. ihre
Avatare - zum kindlichen Pornodarsteller in der 3D-Welt (sog. "Age Play"). Die Staatsanwaltschaft Halle nahm Ermittlungen gegen User auf. Das Verfahren läuft noch. Kürzlich berichtete
SkyNews (hier als YouTube-
Video) über verdeckte Ermittlungen der britischen Organisation
CEOP gegen Nutzer auf dem virtuellen Kinderspielplatz "Wonderland".
[Update, 27.1.2008: Der Link zu Report Mainz funktioniert nicht mehr. Wohl lässt sich aber das Video ergoogeln. Im ursprünglichen Video erinnere ich zensierte Passagen - bei der ergoogelten Variante war leider nichts zensiert, lediglich unkenntlich gemacht. Ich überlasse es daher auch aus Haftungsgründen dem Leser, dieses Video ggf. selbst zu finden. - HW]Kopfschütteln und Entrüstung - dennoch:
Ist das überhaupt strafbare Kinderpornografie?
Vor dem Blick in die einschlägigen Normen soll der Menschenverstand zu Wort kommen: Vom "Grundfall" der Kinderpornografie unterscheidet sich der vorliegende dadurch, dass gar keine Kinder beteiligt sind. Die Avatare wurden durch Erwachsene gesteuert. Also ein Verbrechen ohne Opfer?
Zugrundegelegt wird bei der folgenden Untersuchung, dass das virtuelle Geschehen anderen in audio-visueller Form zugänglich gemacht wird (live, als Video oder Screenshot).
Das deutsche Strafrecht: Tatobjekt virtueller Kinderporno
Straftatbestände im Zusammenhang mit Kinderpornografie sind in § 184b StGB normiert. Gem. Absatz I ist Kinderpornografie eine besondere Form pornografischer Schriften. "Schrift" ist in
§ 11 III StGB definiert, wogegen BGHSt 23, 40 (44) erklärt, was "
Pornografie" ist, nämlich
"(...) eine Darstellung, die sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und unter Ausklammerung emotional-individualisierter Bezüge den Menschen zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht."
Die möglichen sexuellen Interaktionen von Second Life-Avataren decken ein weites Feld von Spielarten ab, so dass das Vorliegen von Pornografie an dieser Stelle ohne stilblütenreiches Subsumieren angenommen werden darf. Desweiteren wird auf die - verstörenden - Bilder im eingangs erwähnten
Report verwiesen.
Das Problem liegt woanders: "Kinder" sind Personen unter 14 Jahren, wie sich aus dem Verweis auf § 176 StGB ergibt. Personen sind jedoch nicht beteiligt. Dem Wortlaut nach - der im Strafrecht besonderes Gewicht hat, Art. 103 II GG - fällt das virtuelle Geschehen nicht unter die Vorschrift.
Strafbarkeit realer, wirklichkeitsnaher und fiktiver Pornografie
Pornos ohne Beteiligung realer Menschen sind in gewisser Form seit langem bekannt: Es gab sie stets in Form von Zeichnungen und Romanen. § 184b I StGB umfasst auch solche fiktiven Darstellungen. Dies lässt sich systematisch aus dem Verhältnis von Absatz I zu den Absätzen II und IV schließen: Letztere betreffen den Besitz bzw. die Besitzverschaffung. Diese Tathandlungen erfordern weniger kriminelle Energie im Vergleich zum Verbreiten und öffentlich Ausstellen (etc.) und sind auch nicht genauso gefährlich. Daher ist der Kreis der Tatobjekte ausdrücklich eingeschränkt: Nur wenn ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen in den Pornos dargestellt wurde, ist schon das Verschaffen und auch der (vorsätzliche) Besitz (Absatz IV) verboten. In Absatz I sind also im Umkehrschluss auch wirklichkeitsferne und mithin fiktive Darstellungen umfasst. Dies sind z.B. kinderpornografische Comics.
Es ergeben sich damit drei Varianten von kinderpornografischem Material:
- tatsächliches Geschehen - Absätze I und II/IV, auch bloßer Besitz strafbar
- wirklichkeitsnahes Geschehen - Absätze I und II/IV, auch bloßer Besitz strafbar
- fiktives Geschehen - nur Absatz I greift (Verbreitung usw.), Besitz (-verschaffung) ist straflos
Keineswegs opferlos: Strafgrund für Fiktivpornografie
Fiktivpornografie ist aus systematischen aber auch sachlichen Gründen umfasst: Ausweislich der
Gesetzesbegründung (BT-Ds. 12/3001, PDF, dort S. 6) wird Pornografie mit kindlichen Darstellern sowie die Darstellung von posierenden Kindern von Tätern verwendet, um Ihre Opfer mit dem Anschein der Normalität gefügig zu machen.
Ein weiterer Grund ist die Gefahr der Tatnachahmung - was freilich unter Psychologen nicht unumstritten ist. So wird auch eine Katharsistheorie vertreten, derzufolge das Betrachten den Tatdrang abmildere (vgl. dazu ein Bericht der
Zeit über eine diesbezüglich kritische
Untersuchung). Zudem trifft das Nachahmungsargument auch auf virtuelle Tötungen, Diebstähle und Körperverletzungen zu. Wenn Maus Jerry dem Kater Tom in Spiel oder Comic mit dem Hammer auf den Schwanz schlägt, wird man das kaum verbieten (wollen) können.
Schließlich schaffen Erwerber von pädophiler Pornografie einen Markt für derlei Material (BGH 1 StR 66/01 - Urteil v. 27. Juni 2001, Rn 47, 55 - bei
HRR-Strafrecht, sowie Duttge/Hörnle/Renzikowski, NJW 2004, 1070).
Dennoch:
Unmittelbare Opfer gibt es bei der fiktiven Kinderpornografie nicht. Dem hat die Bundesregierung Rechnung getragen und die Abstufung zwischen Besitz von fiktiver und wirklichkeitsnaher Pornografie auch gegen Bedenken des Bundesrates durchgesetzt (S. 10 der
Begründung).
Sind Second-Life-Pornos "wirklichkeitsnah"?
Tatsächlicher Kindesmissbrauch (§§ 176-176b StGB) findet in Second Life nicht statt, sofern Erwachsene die Avatare steuern (so auch Lober im Interview mit dem Stern, anders aber unzutreffend dieser Artikel der ZEIT). Aber sind Second Life-Szenarien nicht "wirklichkeitsnah"? Dies erfordert eine derartige Realitätsnähe, dass der unbedarfte Beobachter nicht entscheiden kann, ob das Material auf einem tatsächlichen Geschehen beruht. Damit wollte man Abgrenzungsfragen erleichtern. Zugleich gebietet jedoch die Systematik (und Art. 103 II GG) eine restriktive Auslegung.
Nach dem derzeitigen Stand der Technik (wohl auch in der neuen Version) des "Second Life" (und auch anderer virtueller Welten) ist Wirklichkeitsnähe noch nicht gegeben. Ein unbedarfter Betrachter weiß sofort, dass das Geschehen computergeneriert ist. Wer jedoch moderne Grafiktechnologien kennt und etwa aktuelle Spiele gesehen hat, weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Darstellung "wirklichkeitsnah" ist.
Die figürliche Darstellung von Kindern in Second Life gleicht derzeit noch einer comicartigen Darstellung und könnte mithin nur von der fiktiven Pornografie gem. § 184b StGB umfasst sein.
Ergebnis: Besitz(-verschaffung) straflos, Verbreitung strafbar.
Damit ist bis jetzt der Besitz (sowie die Besitzverschaffung) von Aufnahmen derartiger Geschehen straflos (für eine Schließung dieser Lücke Hoeren,
Internetrecht (Skriptum) Rn. 806). Tathandlungen nach § 184b I StGB bleiben jedoch umfasst. Veranstalter entsprechender Events "in World" sowie deren Teilnehmer dürften sich daher wegen "Verbreitung" strafbar machen (Nr. 1 - so jedenfalls die Rechtsprechung, umstritten).
Zudem erlaubt Second Life zunächst jedem den Lesezugriff. Damit machen Teilnehmer am "Age Play" den fiktiven Sex mit Kindern "öffentlich (...) zugänglich" i.S.d. § 184b I Nr. 2 StGB (vgl. zum sonstigen Internet Schönke-Schröder, § 184, Rn. 6.
Fazit: Neben Kopfschütteln und Entrüstung ist auch noch Raum für einen Strafantrag auf bis 5 Jahre Haft. "Wonderland", jener Kinderspielplatz für Pädophile in Second Life wurde inzwischen offenbar
geschlossen.
Fortsetzung folgt in künftigen Beiträgen:
- Ist der Betreiber verantwortlich?
- Internationale Bezüge: - wie sieht die Rechtslage im Ausland aus? Wie steht das Völkerrecht zu der Frage?
Hinweise für Juristen:
- Es ist umstritten, ob für Internetdarstellungen 184b StGB oder 184c StGB einschlägig ist. Der BGH wendet § 184b StGB an, da für ein "Verbreiten" das Laden in den Arbeitsspeicher des Rechners genüge. Hintergrund: Effektive Strafverfolgung werde nur so möglich. A.A. Teile der Literatur, Schönke/Schröder § 184b Rn. 5 m.w.N.. Dann wäre als Tathandlung der weitere Verbreitungsbegriff des § 184c StGB zugrundezulegen. Dieser umfasst - ähnlich wie § 184b I Nr. 2 - das Zugänglichmachen (Tröndle/Fischer, 54. Auflage, § 184c Rn. 5).
- Pornografie kann Kunst sein. Eine Abwägung ist jedoch bereits in § 184b StGB erfolgt, so dass die künstlerische Ausgestaltung etwa der beteiligten Avatare oder des Spiel-Szenarios keine andere Bewertung ermöglicht (Hopf/Braml, ZUM 2007, 358).
- Angeblich hat Second Life-Betreiber Linden Lab ein Rechtsgutachten bezüglich der eigenen Verantwortlichkeit für rechtswidrige Pornografie "in World" in Auftrag gegeben. Dieses wird gegebenfalls nachgereicht oder ausgewertet.
Artikel zum Thema:
- Der Bericht des "Report Mainz" - er gab Anstoß für die Debatte um Kinderpornografie in Second Life.
- Benjamin Duranske (Virtually Blind) über die rechtlichen Aspekte und einige Gerüchte über Linden Lab-Reaktionen (engl).
- Bericht der FAZ vom Mai 2007 - Tenor ist die Abkühlung des Hypes. So düster dürfte das wohl heute keiner mehr sehen.
- Stern vom Mai mit Interviewpassagen mit RA Andreas Lober über die Frage von Kindesmissbrauch.
- Die Netzzeitung über virtuellen Sex mit Tieren - zugleich Interview mit RA Stephan Mathé. Ein weiteres Interview mit Mathé führte onlinewelten.de.
- Artikel der Zeit über die Auswirkungen von Internetpornografie und die Katharsis-Theorie.
- Aktueller Bericht von SkyNews auf YouTube